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Technik

Tensegrity: Stabile Konstruktionen nur aus Seilen und Stäben?

Neue Anschluss- und Vorspanntechnik ermöglicht auch größere Tensegrity-Bauwerke

Tensegrity-Prototyp © Universität Kassel

Sie bestehen nur aus Seilen und Stäben, und sind doch stabil: So genannte „Tensegrity“-Bauwerke sind seit langem theoretisch und in der Kunst umgesetzt, nicht jedoch für Bauwerke. Jetzt haben Forscher erstmals eine spezielle Anschluss- und Vorspanntechnik etwickelt, die auch den Bau größerer Tensegrity-Konstruktionen ermöglicht. Einen vier Meter hohen Prototyp gibt es bereits.

Für Gebilde aus Stäben oder Röhren, die nur mit gespannten Seilen in einer geometrischen Struktur verbunden sind, sich aber dennoch selbst tragen und sogar Belastungen aushalten können, hat der US-Amerikanische Architekt Richard Buckminster Fuller Ende der 1950er-Jahre den Begriff Tensegrity geschaffen. Er beschreibt eine Struktur, die sich lediglich durch das Zusammenspiel von Zug und Druck zwischen den Bauelementen selbst trägt. Stäbe oder Röhren sind dabei die Druckelemente, die Zugkraft der sie verbindenden Seile sorgt für Stabilität, ähnlich wie beim Stab eines Zeltes, das mit Seilen gespannt wird. Solche Konstruktionen benötigen weniger Material als herkömmliche Bauwerke und könnten theoretisch schnell wieder demontiert, „zusammengefaltet“ und an anderer Stelle neu aufgebaut werden.

Tensegrity-Bauwerke nur mit Hilfskonstruktionen

Dennoch habe sich dieses Konstruktionsprinzip in der Baupraxis bisher nicht durchsetzen können, erklärt Detlef Kuhl, Leiter des Fachgebiets Baumechanik/Baudynamik der Universität Kassel. Zwar sei die Tensegrity-Struktur beispielsweise in der Kuppel der olympischen Gymnastikarena in Seoul (Süd-Korea) oder dem Georgia-Dom von Atlanta (USA) verwandt worden. Doch benötigten diese Bauten allesamt einen umlaufenden Druckring als Hilfsmittel, um die Konstruktion stabil zu halten.

Reine Tensegrity-Formen fänden sich vorwiegend in der Welt der Kunst, erklärt der Wissenschaftler. Diese Strukturen seien zu weich und böten zu wenig Volumen, um eine Funktion als Bauwerk zu erfüllen.

Neue Vorspannungstechnik ermöglicht stabilere Bauten

Eine solche stabile Konstruktion ist jetzt jedoch dem Forscher und seinem Mitarbeiterteam gelungen: Kuhl und sein Doktorand Sönke Carstens haben für die Firma EuroRope (ERS) einen Messestand entworfen und gebaut, ein kugelförmiges Gebilde aus Stahlseilen und Stahlrohren auf der Basis eines Dodekaeders, der seine Feuertaufe bereits bestanden hat. Kuhl hat dabei einen Schwachpunkt der Tensegrity-Konstruktionen beseitigen können: Ihre Stabilität und ihre Eignung für einen bestimmten Verwendungszweck hängt entscheidend von der richtigen Vorspannung der Stahlseile und ihrem perfekten Anschluss an die druckfesten Metallstäbe ab. Dafür wurden bisher zumeist ästhetisch wenig ansprechende Spannschlösser verwandt.

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Die Kasseler Wissenschaftler haben die Aufnahme, die Kupplung und die Spanneinrichtung für die insgesamt sechs Zug- und Verbindungsseile als Zylinder in die Stäbe integriert. Sie bleiben unsichtbar. Die Spannung der einzelnen Seile lässt sich individuell einstellen und jederzeit verändern, je nachdem, welche Art von Belastungen die Konstruktion aushalten soll. Für dieses System läuft das Patentierungsverfahren.

Kreatives Abentuer mit Rechner-Unterstützung

Für die Konstruktion der Tensegrity-Strukturen und der Analyse ihrer Statik, Dynamik und optimalen Form haben die Kasseler Forscher numerische Verfahren und Simulationsprogramme entwickelt. Doch am Anfang steht das Experimentieren mit verschiedenen geometrischen Formen – häufig auf der Basis von Tetraedern -, um die optimale Stabilität für den gewünschten Zweck zu erreichen. „Die Generierung geeigneter Stab-Seil Kombinationen ist noch ein kreatives Abenteuer“, sagt Professor Kuhl. Die Forscher arbeiten aber schon daran, dass der Computer sie auch bei diesem Teil der Arbeit unterstützt.

Die Kasseler Wissenschaftler bereiten schon das nächste Projekt vor. Die Bauphysiker und Baumechaniker, die noch weitere Industriepartner für ihre Forschung suchen, sollen für die Firma ERS eine Brücke zwischen zwei Bürogebäuden errichten. Die Vision Kuhls geht noch weit über dieses Projekt hinaus. Es sei sein Traum, sagt der Wissenschaftler, einmal eine tensegre Brücke über die Fulda zu bauen. Da könnte er sogar zum Zuge kommen. Denn der Bau einer weiteren Fußgänger- und Radwegbrücke in Kassel über den Fluss ist schon länger im Gespräch. Er scheiterte bisher nur am fehlenden Geld.

(Universität Kassel, 23.02.2011 – NPO)

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