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Genetik

Wasserfloh hat mehr Gene als Mensch

Sequenzierung des Daphnia-Genoms enthüllt Geheimnis der hohen Anpassungsfähigkeit

Falschfarbenaufnahme der Bauchseite eines Wasserflohs, aufgenommen mit konfokaler Laser-Scanning Mikroskopie © Jan Michels, Universität Kiel

Wasserflöhe besitzen mehr Gene als alle anderen Tiere, deren Genom bisher sequenziert wurde. Das zeigte die jetzt in „Science“ veröffentlichte erste vollständige Entzifferung des Erbguts des Süßwasser-Krebstiers Daphnia pulex. Die hohe Zahl der Gene erklärt sich daraus, dass während der Evolution der Wasserflöhe deren Gene häufiger dupliziert wurden als bei anderen Wirbellosen. Dies wiederum macht diese Krebstiere besonders anpassungsfähig.

Wasserflöhe gelten als eine der Schlüsselarten für die Nahrungsketten im Süßwasser, sie dienen zahlreichen anderen Arten als Grundnahrung. Gleichzeitig sind sie Wunder der Anpassungsfähigkeit: Gegenüber Veränderungen ihrer Umwelt, vom pH-Wert über Temperaturen bis hin zu Giften, sind Wasserflöhe relativ unempfindlich und reagieren schnell. So bilden sie als Reaktion auf bestimmte Botenstoffe ihrer Prädatoren beispielsweise schützende Schwanzstacheln, Helme und Nackensporne. In der Wissenschaft werden die Krebstiere häufig für Umwelttests eingesetzt.

Welche Rolle die Gene für diese Anpassungsfähigkeit spielen, hat jetzt ein im internationalen Daphnia Genomics Consortium zusammengeschlossenen Gruppe von Wissenschaftlern ergründet. Die Forscher unter Leitung von John Colbourne von der Indiana University sequenzierten erstmals das komplette Genom des Wasserflohs Daphnia pulex – als erstem Vertreter der Krebstiere.

Mehr Gene als in jedem anderen bekannten Erbgut

Die Analyse ergab Überraschendes: Während der Mensch nur auf ungefähr 23.000 Gene kommt, verfügt der Wasserfloh Daphnia pulex über etwa 31.000 Gene. Während beim Menschen ein Großteil der DNA auf nicht-kodierende Abschnitte, die so genannte „Junk-DNA“ entfällt, findet diese sich im Wasserfloh-Erbgut kaum. Rund ein Drittel der neu sequenzierten Gene sind der Wissenschaft völlig neu, sie wurden bisher bei keinem anderen analysierten Tier gefunden.

Die hohe Zahl der Gene beim Wasserfloh erklärt sich daraus, dass während der Evolution der Wasserflöhe deren Gene häufiger dupliziert wurden als bei anderen Wirbellosen. Unter bestimmten Umweltbedingungen standen sie dann für die Entwicklung neuer Funktionen zur Verfügung und verleihen den Tieren auch ihre außergewöhnliche Anpassungsfähigkeit.

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Neue Gene besonders aktiv bei Umweltstress

Dass gerade die Gene, die sich als komplett neu erwiesen, besonders aktiv bei ökologischem Stress sind, belegt die Untersuchung der Genaktivität der Krebstiere, durchgeführt von Christian Laforsch, Georg J. Arnold und Thomas Fröhlich vom Genzentrum der Universität München. Mit Hilfe fortgeschrittener massenspektrometrischer Verfahren der Proteinanalyse konnten sie die Produkte aktiver Gene nachweisen und identifizieren. So genannte Transkriptionsanalysen wiesen nach, dass die neuen Gene immer dann aktiv sind, wenn die Wasserflöhe umweltbedingtem Stress ausgesetzt sind. Sie spielen also vermutlich eine wichtige Funktion bei der Anpassung an wechselnde Umweltbedingungen.

Als Modellorganismus prädestiniert

„Als zentraler Baustein der Nahrungskette ist der Wasserfloh eine Schlüsselspezies in Süßwasserökosystemen“, erklärt Laforsch. „Er reagiert aber auch so sensitiv auf Giftstoffe in der Umwelt, dass er als Indikator für Auswirkungen von Umweltveränderungen gilt. Da zudem über Wasserflöhe eine Fülle von ökologischen und evolutionsbiologischen Erkenntnissen vorliegen, bietet sich Daphnia als idealer Modellorganismus an, um die genetischen Grundlagen der Anpassung an diverse Umweltfaktoren zu analysieren.“

In dieser Funktion könnte sich der Wasserfloh in den gesamten Lebenswissenschaften etablieren, weil das Genom dank der Entschlüsselung nun der Wissenschaft für detaillierte Untersuchungen zur Verfügung steht. So kann unter anderem analysiert werden, welche Genfunktionen mit welchen Merkmalen verbunden sind und welche Rolle die Gene bei der Anpassung an wechselnde Umweltbedingungen – etwa den Klimawandel – spielen.

(Science / Universität München, 07.02.2011 – NPO)

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