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Klima

Arktisches Meereis doch kein Kipp-Punkt

Eine Erholung der Eisdecken ist auch bei starker Schmelze noch möglich

Das Schmelzen des arktischen Meereises galt bisher immer als Kipp-Punkt, als ab einer bestimmten Schwelle nicht mehr umkehrbarer Prozess. Doch genau das haben Forscher jetzt in der Fachzeitschrift „Geophysical Research Letters“ widerlegt: Ein Klimamodell zeigt, dass die Eisbedeckung stattdessen relativ direkt auf die jeweiligen klimatischen Bedingungen reagiert – und dass damit der fortschreitende Verlust des arktischen Meereises verlangsamt oder sogar gestoppt werden kann, wenn der Klimawandel gestoppt wird.

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Das arktische Meereis schrumpft immer stärker, in den letzten Jahren häuften sich die Negativrekorde der sommerlichen Eisbedeckung. Dieser starke Rückgang ließ in den letzten Jahren die Sorge aufkommen, dass die Eisbedeckung sich einem so genannten Kipp-Punkt nähern könnte. Bei Überschreiten des Kipp-Punktes wäre der Verlust des verbleibenden Meereises nicht mehr zu stoppen, auch dann nicht, wenn der ursprüngliche Auslöser, die anthropogene Klimaerwärmung, gestoppt oder umgekehrt werden würde.

„Die mögliche Existenz eines Kipp-Punktes für den Verlust des Arktischen Meereises erscheint zunächst völlig logisch“, erklärt Steffen Tietsche vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie und Erstautor der neuen Studie: „Wenn die Eisbedeckung zurückgeht, nimmt das Meerwasser mehr Sonnenlicht auf und erwärmt sich deswegen stärker, sodass noch mehr Eis abschmilzt. Diese Rückkopplung kann prinzipiell dazu führen, dass der Verlust des Arktischen Meereises sich selbst verstärkt und unabhängig von den vorherrschenden Klimabedingungen wird.”

Erholung der Meereisdecken auch nach starker Schmelze möglich

Die Gültigkeit dieses Konzepts untersuchten die MPI- Forscher nun mit einem Klimamodell. In diesem Modell entfernten sie die Arktische Eisbedeckung zu Beginn des Sommers vollständig, um so die Aufnahme von Sonnenlicht im offenen Wasser zu maximieren. „Wir erwarteten eigentlich, dass der Ozean nach der künstlichen Eisschmelze eisfrei bleiben würde, weil das offene Wasser im Sommer deutlich mehr Wärme aufnimmt”, sagte Tietsche.

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Unerwarteterweise erholte sich jedoch in den Modellsimulationen die Eisbedeckung stets innerhalb von etwa drei Jahren, sodass dann wieder Bedingungen wie vor der künstlichen Eisschmelze herrschten. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass der Zustand des Meereises jederzeit eng an die vorherrschenden Klimabedingungen gebunden ist, was die Existenz eines Kipp-Punktes unwahrscheinlich macht.

Stärkere Wärmeabstrahlung im Winter gleicht Eisverlust im Sommer aus

Die Forscher fanden auch heraus, welche Prozesse die Erholung der Eisbedeckung ermöglichen: Der Ozean verliert während des Winters den Großteil der im Sommer zusätzlich aufgenommenen Wärme. Dieser Wärmeverlust ist wegen des Fehlens einer isolierenden Eisdecke extrem effizient, weil der offene Ozean direkt Kontakt zur kalten Atmosphäre hat. Außerdem wächst das sich schließlich bildende dünne Eis sehr schnell, weil dünnes Eis schlechter isoliert als dickes Eis.

Die Wärme, die vom Ozean durch das dünne Eis abgegeben wird, führt anschließend zu einer stärkeren Wärmeabstrahlung der Atmosphäre in den Weltraum und zu einem verringerten Wärmetransport aus dem Süden in die Arktis. Die Kombination dieser stabilisierenden Rückkopplungen ist stärker als die destabilisierende Rückkopplung durch die zusätzliche Aufnahme von Sonnenlicht im Sommer.

Bestätigung früherer Studien

Die Studie der Max-Planck-Wissenschaftler bestätigt Forschungen von US- Wissenschaftlern, die mit einem viel einfacheren Modell durchgeführt wurden. „Diese Übereinstimmung von Modellen völlig unterschiedlicher Komplexität bedeutet normalerweise, dass die Resultate vertrauenswürdig sind”, sagt Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut und Koautor der neuen Studie.

Die Forscher betonen, dass ihre Ergebnisse nicht den dramatischen Verlust des Arktischen Meereises aufgrund des menschengemachten Klimawandels infrage stellen. „Wenn wir die globale Erwärmung nicht stark verlangsamen, wird die Arktis in einigen Jahrzehnten im Sommer eisfrei sein”, sagt Tietsche.

„Unsere Forschung zeigt, dass die Geschwindigkeit, mit der das Meereis zurückgeht, eng mit der Geschwindigkeit der globalen Erwärmung zusammenhängt. Unsere Arbeit unterstreicht aber, dass wir den Verlust des Arktischen Meereises grundsätzlich noch verlangsamen oder vielleicht sogar stoppen können.” (Geophys. Res. Lett., 38, L02707, doi:10.1029/2010GL045698)

(Max-Planck-Institut für Meteorologie, 07.02.2011 – NPO)

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