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Biologie

Salzmikroben: Überleben durch geklaute Gene

Stoffwechselweg salztoleranter Archaea entstand durch Neukombination der Gene anderer Mikroben

Salzkrusten am Toten Meer © gemeinfrei

Wissenschaftler haben erstmals den Stoffwechselweg salztoleranter Mikroorganismen aufgeklärt und dabei Überraschendes entdeckt: Wie sie in „Science“ berichten, haben die im Toten Meer lebenden Archaea die Gene für diesen Stoffwechselweg nicht selbst entwickelt, sondern von anderen Mikroben „zusammengeklaubt“. Sie sind damit ein weiteres Beispiel für das „evolutionary tinkering“, das „Herumbasteln“ der Evolution auf der Suche nach optimalen Anpassungen.

Entgegen landläufiger Meinung ist das Tote Meer nicht tot, sondern von Mikroorganismen besiedelt, die vor allem zur Gruppe salztoleranter Archaeen gehören. Archaeen (von griechisch archaeos „uralt“) zählen zu den ursprünglichsten Lebensformen der Erde und haben insbesondere in extremen Umgebungen überlebt. Es war bereits länger bekannt, dass salztolerante Archaeen unterschiedlichste organische Verbindungen als Nahrungsquelle nutzen, um über aktivierte Essigsäure (Acetyl-Coenzym A) die benötigten Zellbausteine und Vitamine zu synthetisieren.

Eine Forschergruppe der Universität Freiburg um den Mikrobiologen Ivan Berg hat sich mit den bisher ungeklärten Stoffwechselvorgängen in diesen Mikroorganismen beschäftigt und dabei einen ganz neuen Stoffwechselweg entdeckt. Mit Hilfe unterschiedlichster biochemischer und mikrobiologischer Methoden gelang es ihnen, den gesamten Reaktionszyklus des Mikroorganismus Haloarcula marismortui mit allen Zwischenschritten aufzuklären. Der komplette Stoffwechselweg wurde nach seinem charakteristischen Schlüsselintermediat „Methylaspartat- Zyklus“ benannt.

Gene aus anderen Mikroben zusammengeklaubt

Wie aber entstand dieser neue Stoffwechselweg? Die Vorfahren salztoleranter Archaeen mussten offensichtlich irgendwann ihren Lebensstil ändern und den Stoffwechselweg erst „erfinden“, um sich ihren salzigen Lebensraum zu erschließen. Untersuchungen der Freiburger ergaben überraschenderweise, dass die Gene für diesen Stoffwechselweg von den Vorfahren salztoleranter Archaeen aus anderen Mikroorganismen „zusammengeklaubt“ wurden.

Zufällige Gen-Transporte zwischen Organismen sind unter dem Namen „lateraler Gen-Transfer“ schon

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länger bekannt. Neu ist jedoch, dass der Methylaspartat-Zyklus sich komplett aus alten Genen

unterschiedlicher Funktion und völlig unterschiedlicher Stoffwechselwege zusammensetzt. Erst die zufällige (Neu)-Kombination all dieser Gene in einem Vorfahren salztoleranter Archaeen führte zu diesem neuen Stoffwechselweg. Die Forscher erklären sich diesen Entstehungsprozess damit, dass es schwieriger und langsamer sei, neue Gene zu „erfinden“, als existierende Gene nach dem „Bastelprinzip“ zu kombinieren, um dadurch neue Stoffwechselvarianten zu erzeugen.

Weiterer Beleg für „evolutionary tinkering“

Dieses Bastelprinzip ist unter Biowissenschaftlern als „evolutionary tinkering“ bekannt und soll verdeutlichen, dass die Evolution kein perfekter Ingenieur ist, der von Anfang an alles mit Bedacht plant und genau weiß, was er am Ende erhalten will. Die Evolution erscheint Biologen viel eher als eine Art Bastler, der herumwerkelt, um dringende Probleme irgendwie zu lösen. Bastler benutzen dazu nicht unbedingt neue, maßangefertigte Bauteile (im biologischen Sinne Gene), sondern das, was gerade in Griffnähe und einigermaßen brauchbar ist. Dieses Prinzip gilt auch für die Entstehung neuer

Stoffwechselwege unter extremsten Bedingungen, wie die Arbeit von Berg und seinen Kollegen zeigt.

(Universität Freiburg, 24.01.2011 – NPO)

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