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Haiti, ein Jahr nach dem Beben

Bisher kaum Wiederaufbau, Lage noch immer verheerend

Ein Jahr nach dem Beben leben viele Haitianer noch immer in Zelten © Marcello Casal Jr/Abr

Ein Jahr nachdem ein verheerendes Erdbeben hunderttausende Menschen getötet und Millionen obdachlos machte, hat sich die Lage in den betroffenen Gebieten kaum verbessert. Der Wiederaufbau hat vielerorts noch nicht einmal begonnen und noch immer hausen Menschen in Zelten und Notunterkünften. Unzureichende staatliche Strukturen, politische Instabilität und eine schwere Choleraepidemie erschweren die Hilfe und den Wiederaufbau.

Beben war „Worst-Case-Scenario”

Am 12. Januar 2010 bebte die Erde unter der Karibik. Das Epizentrum des Bebens der Stärke 7,0 lag nahe der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince. Ein Großteil der Stadt und des östliche Haiti fiel durch die Erschütterungen in sich zusammen. Mehr als 220.000 Menschen starben in den Trümmern, rund 1,5 Millionen verloren ihre Häuser. Nach Einschätzung von Erdbebenexperten war das Erdbeben von Haiti sowohl in geologischer als auch in humanitärer Sicht ein „Worst-Case-Scenario“.

Zum einen ereignete es sich nur 15 Kilometer südwestlich der dicht besiedelten Hauptstadt Port-au-Prince, zum zweiten lag der Erdbebenherd nur rund zehn bis 15 Kilometer unter der Oberfläche und löste damit ein besonders zerstörerisches Flachbeben aus. Und zum dritten waren Infrastruktur und Gebäude in diesem armen Land nicht imstande, einer solchen Katastrophe zu widerstehen. Wie marode Struktur und System in Haiti waren und noch immer sind, zeigt sich auch jetzt, ein Jahr nach der Katastrophe. Denn noch immer hat sich an der Lage der Menschen kaum etwas verändert.

Das sichtbarste Zeichen für die anhaltende Not nach dem Erdbeben sind die rund eine Million Menschen, die weiter in überfüllten Notunterkünften leben. Die allermeisten von ihnen waren schon vor der Katastrophe sehr arm und hatten keine Arbeit. Jetzt wissen sie nicht, wohin sie gehen sollen. Es fehlt an Platz und an Mitteln, um einfache Häuser zu bauen, oft sind Eigentumsrechte für Land nicht geklärt. Immer noch behindern große Mengen Schutt den Wiederaufbau. Auch Regierungsstellen und Hilfsorganisationen haben bei dem Erdbeben viele Mitarbeiter verloren.

Erdbebenschäden in Port-au-Prince nach dem Haiti-Beben © Marcello Casal Jr/Abr / CC-by-sa 2.5 Brasil

Bisher kaum Trümmerbeseitigung und Wiederaufbau

„2010 war ein Jahr der verpassten Chancen für den Wiederaufbau Haitis“, erklärt Roland Van Hauwermeiren, Oxfams Landesdirektor in Haiti. In vielen Bereichen müsse dringend gehandelt werden, zum Beispiel bei der Schaffung von Einkommensmöglichkeiten, der Trümmerbeseitigung, der Instandsetzung von Häusern oder bei der Landzuteilung. Bis Ende 2010 wurden nach Angaben der Vereinten Nationen erst 42 Prozent der für den Wiederaufbau Haitis bereitgestellten Mittel in Höhe von 2,1 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Für die Trümmerbeseitigung und Instandsetzung von Häusern wurde insgesamt zu wenig Geld zur Verfügung gestellt.

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„So sind ein Jahr nach der Katastrophe nur fünf Prozent der Trümmer beseitigt und nur 15 Prozent der benötigten Häuser gebaut worden. Solange die riesigen Trümmerberge nicht aus dem Weg geräumt sind, kann nicht in großem Stil mit dem Wohnungsbau begonnen werden“, so Van Hauwermeiren. „Der neuen haitianischen Regierung kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Die internationale Gemeinschaft und die Nichtregierungsorganisationen müssen den von der haitianischen Regierung koordinierten Wiederaufbau nachhaltig unterstützen, damit er erfolgreich abläuft.“

WHO: Cholera-Epidemie noch lange nicht gestoppt

Die seit vergangenem Jahr grassierende Choleraepidemie offenbart den noch immer desolaten Zustand des staatlichen Gesundheitssystems. Die Krankheit brach vermutlich in der Nähe eines Lagers von UN-Hilfstruppen aus Nepal zuerst aus, ob sie von den UN-Truppen eingeschleppt wurde, soll nun ein unabhängiges UN-Gremium prüfen.

Insgesamt sind in Haiti bereits knapp 3.000 Menschen der Seuche zum Opfer gefallen. Ohne ausreichende Ausstattung, notwendiges Wissen über Hygiene und geeignetes Personal konnte sich die Krankheit landesweit dramatisch ausbreiten. UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation gehen davon aus, dass die Cholera noch lange nicht gestoppt ist. Denn die Bevölkerung hat keine Widerstandskraft gegen den Erreger und die hygienischen Verhältnisse sind vielerorts noch immer sehr schlecht.

Verschärfend kommt hinzu, dass nun das Nachbarland, die Dominikanische Republik begonnen hat, haitianische Flüchtlinge auszuweisen. Im grenznahen Gebiet wurden Kontrollpunkte erreichtet und rund 700 illegal über die Grenze geflüchtete Menschen ausgewiesen. Nach Schätzungen der UNO leben seit dem Erdbeben mehr als eine Millionen Haitianer illegal in der Dominikanischen Republik. Die meisten von ihnen arbeiten auf Zuckerrohrfeldern oder als Hausangestellte.

Übergang von Nothilfe zu Wiederaufbau

Ein Jahr nach dem Erdbeben ist Haiti nach Einschätzungen von Hilfsorganisationen in einer entscheidenden Phase. Der Übergang von der akuten Nothilfe zu langfristigen Wiederaufbaumaßnahmen müsse jetzt bewältigt werden. Über die unmittelbar durch das Erdbeben verursachten Notlagen hinaus müssen nun die tiefer liegenden Probleme in Haiti angegangen werden. „Trotz vieler Schwierigkeiten ist Haiti kein hoffnungsloser Fall. Die Haitianer haben in den Monaten nach der Katastrophe eine enorme Kraft bewiesen“, sagte Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland. „Haiti ist wie ein Patient auf der Intensivstation. Wir können nicht erwarten, dass der schwer Kranke schon jetzt alleine läuft. Die Hilfe muss weitergehen.“ Ähnliches mahnen auch andere Hilfsorganisation wie Ärzte ohne Grenzen und Oxfam.

Mehr zu Haiti nach dem Erdbeben in unserem Special

(Unicef, Oxfam, Ärzte ohne Grenzen, Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI), 11.01.2011 – NPO)

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