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Paläontologie

Hochzeitsflug im Bernstein konserviert

Entomologen rekonstruieren erstmals fossiles Insekt vollständig in 3D

Dreidimensionale Rekonstruktion eines fossilen Fächerflügler-Männchens der Gattung Mengea (Anaglyphenbild) © Universität Jena

Ein Stück Bernstein hat den Hochzeitsflug eines Fächerflügler-Männchens über 42 Millionen Jahre hinweg in bisher unerreichter Vollständigkeit konserviert. Eine jetzt von einem internationalen Forscherteam erstellte 3D-Rekonstruktion des fossilen Insektes enthüllt sogar die Feinanatomie der inneren Organe und Gewebe. Die jetzt in der Fachzeitschrift „Naturwissenschaften“ erschienene Studie gibt wichtige Aufschlüsse über Lebensweise und Evolution.

Eigentlich wäre ihm nur ein sehr kurzer Aufenthalt auf Erden beschieden gewesen: Fächerflügler-Männchen (Strepsiptera) der Gattung Mengea lebten nur wenige Stunden. Doch per Zufall hat eines der nur blattlausgroßen Insekten praktisch „Unsterblichkeit“ erlangt: Während seines Hochzeitsfluges vor rund 42 Millionen Jahren blieb es an einem Tropfen Baumharz kleben. Eingeschlossen in ein Stück Bernstein hat es die Jahrmillionen so nahezu unbeschadet überdauert.

Mikro-CT gibt Einblick in innere Strukturen

„Einen absoluten Glücksfall“, nennt das Hans Pohl von der Universität Jena. Der Insektenforscher hat gemeinsam mit Kollegen aus Jena, Hamburg und New York das fossile Insekt jetzt naturgetreu wieder „auferstehen“ lassen: Anhand hochaufgelöster Mikro-Computertomographie-Aufnahmen (Mikro-CT) haben die Wissenschaftler erstmals ein ausgestorbenes Insekt vollständig dreidimensional rekonstruiert. Auf diese Weise konnten sich die Forscher nicht nur ein detailliertes und realistisches Bild von der äußeren Gestalt des urzeitlichen Insekts machen. „Die Mikro-CT erlaubt vor allem auch Einblicke in die inneren Strukturen des Tieres“, hebt Pohl hervor.

Innere Organe zu 80 Prozent erhalten

Anders als bei versteinerten Fossilien, bei denen innere Organe durch den Versteinerungsprozess unter hohem Druck zerstört werden, bleibt das Gewebe in Bernstein manchmal weitestgehend intakt. Etwa 80 Prozent der inneren Gewebestrukturen des fossilen Fächerflüglers sind hervorragend erhalten, das hat die Auswertung der Mikro-CT-Daten jetzt ergeben. Muskulatur, Gehirn und Nervengewebe, Sinnesorgane, Verdauungs- und Fortpflanzungsapparat des Insekts liegen vor den Jenaer Wissenschaftlern wie ein offenes Buch. Ausgerüstet mit 3D-Brillen können sie das Tier dreidimensional am Bildschirm betrachten. Um es zu drehen oder virtuelle Schnitte in verschiedenen Positionen anzulegen, braucht es nur ein paar Mausklicks.

Weibchen lebten als Parasiten in Wirtstieren

„Daraus lassen sich wichtige Erkenntnisse für die stammesgeschichtliche Einordnung dieser Insekten

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gewinnen“, erläutert Professor Rolf Beutel von der Uni Jena. Bis heute gibt die Ordnung der Strepsiptera den Forschern viele Rätsel auf. „Die Weibchen dieser merkwürdigen Tiere lebten fast durchweg endoparasitisch, also innerhalb von Wirtstieren.“ Allerdings, so der Entomologe weiter, seien die Weibchen der untersuchten Spezies freilebend gewesen.

Dies schließen die Jenaer Forscher aus der Form der äußeren Genitalien des Mengea-Männchens. So haben die Männchen von Arten mit endoparasitisch lebenden Weibchen immer einen ankerförmigen Penis. „Das Männchen braucht Halt, sollte sich das Wirtstier – etwa eine Zikade – während der Paarung fortbewegen.“ Einen solchen „Anker“ fanden die Forscher bei dem untersuchten Bernstein- Exemplar jedoch nicht.

Platz im Stammbaum bestätigt

Die Jenaer Insektenforscher konnten außerdem den Platz der Mengea-Fächerflügler innerhalb des Stammbaumes der Insekten bestätigen. „Es handelt sich um ,primitive‘ Vorgänger der heute existierenden Arten“, so Pohl. Einzige Aufgabe der Männchen sei es gewesen, innerhalb ihrer kurzen Lebensspanne ein Weibchen zu finden und sich fortzupflanzen. „Dies spiegelt sich deutlich in ihrer Anatomie wider“, sagt der Insektenforscher.

So verfügte das Insekt über leistungsfähige, hochspezialisierte Sinnesorgane an seinen geweihförmigen Antennen, um möglichst schnell ein Weibchen aufzuspüren. Auch die Flugmuskulatur war extrem gut ausgeprägt. Die Mundwerkzeuge und der Verdauungstrakt sind dagegen deutlich zurückgebildet im Vergleich zu anderen Insekten. „Diese Tiere waren nicht in der Lage, feste Nahrung aufzunehmen und zu verdauen“, schlussfolgert Beutel. Wahrscheinlich war der Darm mit Luft gefüllt, was die Flugfähigkeit der winzigen Insekten verbesserte.

Die Jenaer Insektenforscher wollen nun mit der Mikro-CT auch andere Bernstein-Inklusen durchleuchten. „Diese Methode hat ein außerordentlich großes Potenzial“, ist sich Pohl sicher. Sie ermögliche nicht nur sehr detaillierte Untersuchungen, sondern biete gegenüber anderen Methoden auch den großen Vorteil, dass die Fossilien dabei nicht zerstört werden müssen und so die Zeit weiter überdauern. (Naturwissenschaften, 2011; DOI: 10.1007/s00114-010-0703-x)

(Universität Jena, 10.01.2011 – NPO)

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