Zumindest bei Vögeln hat sozialer Stress messbare Auswirkungen auch auf die nächste Generation: Wachtelmütter reagieren nicht nur selbst gestresst, der Dotter ihrer Eier hat auch einen erhöhten Testosterongehalt, wie Forscher herausfanden. Der Überschuss des männlichen Geschlechtshormons verzögert die Entwicklung der schlüpfenden Jungen und hat Auswirkungen auf ihr späteres Verhalten. Diese nach Ansicht der Forscher überraschend deutlichen Ergebnisse sind jetzt in der Zeitschrift „PloS ONE“ erscheinen.
Japanwachtel (Coturnix japonica) ist eine Wachtelart, die in Ostasien verbreitet ist. Die bräunlich gemusterten, rund 20 Zentimeter großen Vögel leben dort in sozialen Gruppen. Einzelne Tiere erkennen einander und bauen enge Beziehungen zueinander auf. Seit Langem ist bekannt, dass eine Störung im sozialen Gefüge für diese Tiere daher Stress bedeutet. Dass sich sozialer Stress bei Muttertieren auch auf ihren Nachwuchs auswirkt, haben jetzt Forschende der französischen CNRS- Université de Rennes unter Beteiligung von Erich Möstl von der Veterinärmedizinischen Universität Wien und von Kurt Kotrschal vom Konrad Lorenz Forschungszentrum der Universität Wien nachgewiesen.
Mehr Testosteron schon im Eidotter
Für ihre Untersuchungen änderten die Forschenden die Zusammensetzung einer Japanwachtel-Gruppe, die an ein Zusammenleben gewohnt waren, alle drei Tage und verglichen diese Gruppe mit einer Kontrollgruppe. Ergebnis war, dass die Tiere der Versuchsgruppe ein aggressiveres Verhalten
untereinander zeigten. Zugleich stieg der Stresshormonspiegel im Blut der Tiere an.
Für die Forscher überraschend war jedoch, dass sich auch in den Eiern, die gestresste Muttertiere gelegt hatten, deutliche Veränderungen zeigten. „Im Dotter von Eiern gestresster Muttervögel fanden wir eine signifikant höhere Konzentration des Hormons Testosteron“, erklärt Möstl, der die Dotterproben seiner französischen Kollegen analysierte.
Nachwuchs gestresster Mütter wächst langsamer
Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit den Ergebnissen früherer Arbeiten anderer Forschungsteams, die bei Haussperlingen, amerikanischen Blesshühnern und Staren erhöhte Konzentrationen von Testosteron in Eiern von Muttertieren fanden, die beim Brüten in dichten Kolonien erhöhtem Stress ausgesetzt waren. Völlig neu ist jedoch, dass Küken gestresster Mütter später schlüpfen und zumindest in den ersten drei Wochen auch langsamer wachsen. Die Forscher fanden auch Hinweise darauf, dass der Nachwuchs gestresster Mütter ein vorsichtigeres Verhalten zeigt und empfindlicher auf Störungen reagiert als Küken nicht gestresster Muttertiere. Die Jungtiere der gestressten Mütter waren zudem unruhiger.
Die Studienautoren interpretieren diese Unterschiede im Verhalten als verstärkte Versuche, potenziellen Bedrohungen auszuweichen oder als verstärkte Suche nach sozialen Kontakten. Möstl dazu: „Wir wissen, dass Stress bei weiblichen Säugetieren die Entwicklung der Jungen im Mutterleib beeinflusst. Sehr überraschend war für uns aber, dass sozialer Stress der Muttertiere sich so deutlich auf den Hormongehalt des Dotters ihrer Eier auswirkt.“ (PloS ONE, 2010, DOI: 10.1371/journal.pone.0014069)
(Veterinärmedizinische Universität Wien, 03.01.2011 – NPO)