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Biologie

Urzeitlicher Hot Spot der Artenvielfalt in Vietnam entdeckt

Reiche Fossilfunde in Nordvietnam belegen frühen Ursprung der heutigen Biodiversität

Satellitenbild von Nordvietnam © NASA/GSFC

Im Norden Vietnams sind Biologen auf eine wahre Schatztruhe der urzeitlichen Artenvielfalt gestoßen: In den Ablagerungen dreier Seen entdeckten sie eine ungewöhnlich reiche und vielseitige Fossilienwelt mit zahlreichen zuvor unbekannten Arten. Die Funde belegen, dass diese Region bereits vor 30 Millionen Jahren ein Hot Spot der Biodiversität war und geben einzigartige Einblicke in die Lebenswelt der damaligen Zeit.

Durch die sehr hohe Anzahl meist nur dort vorkommenden Tier- und Pflanzenarten gilt Südostasien als globaler Hot Spot der Biodiversität. Trotz seiner stark gefährdeten Land- und Süßwasserökosysteme trägt Vietnam maßgeblich zu dieser biologischen Vielfalt bei. Eine Forschungsgruppe um Professor Madelaine Böhme vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoecology (HEP) an der Universität Tübingen, hat nun erstmals nachgewiesen, dass Nordvietnam schon vor rund 30 Millionen Jahren ein Hot Spot der Biodiversität war.

Im Rahmen eines deutsch- vietnamesischen Forschungsprojekts hatten die Wissenschaftler in den Jahren 2008 und 2009 Seeablagerungen in drei Seen Nordvietnams untersucht: das in der Provinz Lang Son liegende Na Duong-Becken mit der Rinh Chua-Störzone, das nordwestlich davon gelegene Cao Bang-Becken sowie das nicht ganz 300 Kilometer entfernte, im Südwesten fast an Laos grenzende Hang Mon-Becken. Alle drei Becken liegen entlang großer Verwerfungen, die während des Eozäns vor rund 56 bis 34 Millionen Jahren in Folge gewaltiger Erdkrusten-Bewegungen entstanden.

Reiche Fossilienvielfalt mit zahlreichen neuen Arten

Die im Rahmen der Expeditionen gemachten Funde übertrafen alle Erwartungen. Als Belege für den frühen Artenreichtum stießen sie dabei auf Fossilien von Säugetieren, Krokodilen, sechs Wasserschildkrötenarten, etwa 20 Fisch- und zehn Muschelarten, Schnecken sowie verschiedenen Pflanzen. Etliche der fossilen Tiere sind völlig neu für die Wissenschaft und warten noch auf eine genaue Beschreibung.

„Da viele der fossilen Arten eng mit den heutigen Tieren und Pflanzen verwandt sind, geben die Funde nicht nur Aufschluss über die Lebensbedingungen während der Erdneuzeit, sondern helfen uns auch, Evolutionsmuster zu entschlüsseln und globale Mechanismen im System Erde besser zu verstehen“, fasst Böhme das Ziel ihrer Forschungsarbeit zusammen.

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Unterschiede zwischen Seen erlauben Rückschlüsse auf Lebensraum

Der Fossilbericht des Grabungsprojekts weist insgesamt eine bemerkenswerte Vielzahl von Arten auf, die sich jedoch innerhalb der einzelnen Becken in der Zusammensetzung ihres Artenspektrums unterscheiden. „Für die Wissenschaft sind diese Unterschiede aufschlussreich“, so Böhme und erklärt, dass die Fossilien, wenn man die darin versteinerten Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgewohnheiten und vitalen Ansprüche kennt, quasi selbst Auskunft über ihren einstigen Lebensraum geben. Ergänzt man diese Informationen um die geologischen Beobachtungen, ergibt sich so etwas wie eine Landkarte. Die Ergebnisse der Untersuchungen skizzieren somit die urzeitlichen Landschaften Nordvietnams mit den darin vorkommenden Lebewesen und Klimaverhältnissen.

Schildkrötenpanzer aus dem Na Duong-Becken © Madelaine Böhme / HEP

50 Schildkrötenpanzer in zehn Tagen

Da bisher nur wenig über die fossilen Ökosysteme Vietnams bekannt ist, war auch für die Wissenschaftler vieles neu. So wurde das Grabungsteam beispielsweise im Na Duong-Becken von dem reichen Vorkommen an Schildkröten überrascht. In nur zehn Tagen konnten hier 50 Panzer von Süßwasserschildkröten geborgen werden, die mindestens sechs Gattungen repräsentieren. In den

Jahrmillionen alten Ablagerungen hatten sich außerdem baumartige Farne, bis zu fünf Meter lange Fragmente von Baumstämmen, fossile Harze, verschiedene Blätter sowie Pflanzensamen erhalten.

Im Fossilbericht erscheinen auch Teile von Krokodilen und Säugetierresten, die zu einem Hirschferkel und einem Nashorn gehörten, sowie etliche andere Wirbeltiere; darunter einige kleinere und mittelgroße Fische, Barben, ein bisher nicht beschriebener Echter Knochenfisch und so genannte Welsartige. Unter den Weichtierfunden befinden sich erstaunlich viele, ganz verschiedene Süßwassermuscheln und Süßwasser-schnecken.

Vor allem die Zusammensetzung der Fisch- und Weichtierfauna deutet auf einen Lebensraum mit seichten, sauerstoffreichen Süßwasservorkommen hin. Diese Beobachtungen werden gestützt durch etliche, in Lebendposition gefundene Wasserpflanzen, die üblicherweise in ruhigen Gewässern vorkommen. Madelaine Böhme nimmt an, dass die großen Muschelpopulationen durch ihre Filtertätigkeit für klares Wasser gesorgt und so ideale Bedingungen für die lichtabhängigen Pflanzen geschaffen haben.

Viele offene Fragen

Die unterschiedliche Weichtier-Fauna des Na Duong- und Cao Bang-Beckens gibt noch Rätsel auf. Die Paläontologin hält es jedoch für möglich, dass die bisher geborgenen Fossilien sich bei weiteren Untersuchungen nicht nur als die bisher ältesten Vertreter dieser Tiergruppe entpuppen, sondern auch ein zusätzlicher und neuer Aspekt in der Diskussion um das Alter der Becken sein können.

Die geologischen und auch fossilen Befunde werfen für Madelaine Böhme auch die Frage auf, ob während der Erdneuzeit neben dem Roten Fluss nicht ein weiterer großer Fluss existiert haben könnte. Dies, wie auch Studien zum Klima und weitere geologische und paläontologische Analysen wird Teil der weiteren Forschungsarbeit zur einstigen Lebewelt und den Ökosystemen Nordvietnams sein. (Journal of Asian Earth Sciences (2010), doi:10.1016/j.jseaes.2010.11.)

(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, 14.12.2010 – NPO)

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