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Medizin

Boxsport: Hirnschäden inklusive

20 Prozent der Boxer leiden unter neurophysiologischen Folgeerkrankkungen

Leichtgewichts-Boxer Ricardo Dominguez im Kampf mit Rafael Ortiz © Wayne Short / gemeinfrei

Wiederholtes KO im Boxkampf hinterlässt fatale Spuren im Gehirn. Bis zu 20 Prozent der Profiboxer, so hat jetzt eine im Deutschen Ärzteblatt erschienene neue Studie ergeben, leiden unter neuropsychiatrischen Folgeerkrankungen. Die Spannbreite reicht dabei von Kopfschmerzen und Tinnitus bis zu Sprachstörungen und Demenz. Mediziner fordern deshalb strengere Schutzauflagen.

Dass Boxen kein Sport für Zartbesaitete ist, ist eine Binsenweisheit. Ungeachtet des Verletzungsrisikos sind Fernsehübertragungen von Boxkämpfen in den letzten Jahren allerdings immer beliebter geworden. Die kurz- und langfristigen medizinischen Folgen, mit denen Boxer nach einem solchen Kampf kämpfen, haben jetzt Fachärzte des Klinikums rechts der Isar der TU München untersucht. Die interdisziplinäre Expertenrunde von Psychiatern, Neurologen, Neurochirurgen und Sportmedizinern hat Studien ausgewertet, die in den letzten zehn Jahren die akuten, mittelfristigen und chronischen Folgen des Boxens untersucht haben.

Die Ergebnisse der Studie sind alles andere als positiv: die Spannbreite der Akut- und Spätfolgen reicht von gesundheitliche Schäden durch das Knockout, die einer Gehirnerschütterung entsprechen bis zur Boxerdemenz als Spätfolge chronischer Hirntraumata.

Akute Folgen nach dem KO

Das regelkonforme Ziel des Boxkampfes ist der „Knock out“ (KO), ein akutes stumpfes Schädel-Hirn-Trauma, das zu einer vorübergehenden Bewusstlosigkeit führt. Die hohe Aufprallgeschwindigkeit der Faust von zehn Metern pro Sekunde und mehr führt zu Stauchungen, Zerrungen und funktionellen Hirnverletzungen. Zusätzlich erleiden Boxer zahlreiche nicht-regelkonforme Verletzungen im Gesicht und an den Händen. Darüber hinaus kommt es pro Jahr zu etwa zehn Todesfällen.

Zusammenhang mit Demenz

Am Tag nach einem KO klagen Boxer über Beschwerden, die von Kopfschmerzen, Tinnitus, Vergesslichkeit und Schwindel bis zu Hör- und Gangstörungen reichen. Häufig leiden sie auch unter kognitiven Defiziten und können nur verlangsamt Informationen verarbeiten und sprechen. Erklärbar sind diese Symptome durch die erhöhte Bildung von beta-Amyloid, dem Grundbaustein der Alzheimer-Plaque. Förstl sieht einen Zusammenhang zwischen KO und Demenz: „In Tierexperimenten wurde nachgewiesen, dass nach einem Schädel-Hirn-Trauma die gleichen molekularen Mechanismen wirken wie bei der Alzheimer-Neurodegeneration.“

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Zehn bis 20 Prozent der Profiboxer leiden unter anhaltenden Folgeerkrankungen. Sie kämpfen mit schwerwiegenden motorischen und kognitiven Defiziten wie Zittern, Lähmungen und Demenz sowie mit Depressionen und verstärkter Aggression. Besonders Boxer mit einem guten „Stehvermögen“ haben durch die wiederholten Traumata ein höheres Risiko für neuropsychiatrische Schädigungen.

Amateurboxer besser geschützt

Die Risiken für Amateurboxer sind deutlich geringer. Für sie gelten nämlich einheitliche Schutzmaßnahmen, die etwa das Tragen eines Kopfschutzes, stärker gepolsterte Handschuhe eine kürzere Rundendauer und regelmäßige ärztliche Untersuchungen vorschreiben. Profis hingegen treten ohne diese Sicherheitsvorkehrungen in den Ring.

Die Mediziner um Förstl und Halle verlangen auch hier weitgehende Schutzmaßnahmen und regelmäßige medizinische Untersuchungen, um die Verletzungsgefahr zu reduzieren. Die World Medical Association (WMA) plädierte 2005 für ein generelles Boxverbot. Förstl und seine Kollegen fordern eine derartige Diskussion auch unter deutschen Medizinern.

(Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, 26.11.2010 – NPO)

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