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Physik

Existiert eine bisher unbekannte Kraft im Universum?

Neue Kraftform auf großen Distanzen soll Relativitätstheorie ergänzen

Massen (etwa Sterne und Planeten) krümmen die Raumzeit © Florian Aigner, TU Wien

Hat Einstein in seinen Formeln vielleicht etwas vergessen? Ein Wiener Physiker hat jetzt ein neues Modell vorgeschlagen, das die Relativitätstheorie durch eine „Zusatz-Kraft“ ergänzt und sie so mit astronomischen Beobachtungen in Einklang bringen könnte. Wie er im Fachjournal „Physical Review Letters“ erklärt, müsste diese konstante, aber sehr kleine Kraft zwischen zwei Objekten unabhängig von ihrer Entfernung wirken.

Einstein hat unser Verständnis des Universums revolutioniert – doch bis heute sind zentrale Fragen der Gravitationsphysik unbeantwortet geblieben. Zwar kann man heute Planetenbewegungen um die Sonne mit großer Präzision berechnen – doch die Bewegungsgeschwindigkeit von Sternen rund um das

Galaxienzentrum lässt sich bis heute nicht zufriedenstellend erklären. Nach gängiger Lehrmeinung muss es deshalb einen weiteren Faktor geben, die unsichtbare „dunkle Materie“, die solche Phänomene erklärt.

Schwerkraftanteile statt Dunkler Materie?

Doch nach Ansicht des Forschers Daniel Grumiller vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien könnte es noch eine andere Möglichkeit geben, die Diskrepanzen zu erklären: Möglicherweise hat die Schwerkraft bei großen Distanzen zusätzliche Anteile, die bisher unberücksichtigt geblieben sind? Auf der Suche danach ging der Physiker zurück zu den Grundlagen der Gravitationstheorie. Als Ausgangspunkt stellte er die Frage: „Welche Art von Formeln, mit denen man die Gravitation beschreiben könnte, ist mathematisch überhaupt erlaubt?“ Nur ganz bestimmte mathematische Ausdrücke lassen sich in die Physik der Gravitation einbauen, ohne Symmetrien zu verletzen, die wir im Universum vorfinden, oder unseren täglichen physikalischen Beobachtungen eindeutig zu widersprechen.

Gibt es eine unbekannte Zusatz-Kraft?

Grumiller vereinfachte die Gravitationstheorie, indem er zunächst kugelsymmetrische Fälle betrachtete – so lässt sich etwa das Gravitationsfeld eines Planeten, eines Sternes oder einer annähernd sphärischen Galaxie beschreiben. „Man kann dann mathematisch zeigen, aus welchen Beiträgen sich die Gravitationskraft zusammensetzen muss“, erklärt Grumiller. Manche Beiträge sind wohlbekannt: Die klassische Newtonsche Schwerkraft und eine Erweiterung dazu, die aus der Relativitätstheorie kommt – beides nimmt mit der Entfernung ab. Auch Einsteins „Kosmologische Konstante“, die bei extrem großen Distanzen eine Rolle spielt, taucht in Grumillers Gleichungen ganz automatisch auf.

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Zusätzlich aber findet man auch noch einen weiteren Beitrag zur Gravitation: Eine konstante Kraft, die zwischen zwei Objekten unabhängig von ihrer Entfernung wirkt – Grumiller nennt sie „Rindler-Kraft“, nach dem in Wien geborenen Gravitationsphysiker Wolfgang Rindler. Diese Kraft ist freilich so klein, dass man sie im täglichen Leben nicht beobachten kann. „Sie steht nicht im Widerspruch zur Relativitätstheorie, sondern ist eine Erweiterung, die sich in das Gebäude der Relativitätstheorie nahtlos einfügt“, meint Grumiller.

Schneller als Einstein erlaubt

In einem ersten Versuch, die Größe dieser Zusatz-Kraft abzuschätzen, berechnete Grumiller die Rotationsgeschwindigkeit von Sternen rund um das Galaxiezentrum – denn bei galaktisch großen Entfernungen, bei denen die klassische Schwerkraft winzig klein wird, spielt die neugefundene Rindler- Kraft eine entscheidende Rolle. Und tatsächlich zeigte sich, dass Grumillers Formeln die erstaunlich großen Rotationsgeschwindigkeiten, die man beobachten kann, qualitativ viel besser beschreiben als bisherige Berechnungen. „Das ist ein Hinweis darauf, dass die Rindler-Kraft nicht nur mathematisch erlaubt ist, sondern tatsächlich in der Natur auftritt“, meint Grumiller.

Rätsel um die Pioneer-Sonden

Mit derselben Methode untersuchte Grumiller ein weiteres Rätsel derGravitationsphysik: Die Pioneer-Anomalie. Schon seit Jahren beobachtet man, dass sich Raumsonden wie Pioneer 10 und Pioneer 11, die sich weit von Erde und Sonne entfernen, nicht exakt auf den Bahnen bewegen, die von der Relativitätstheorie vorausgesagt werden. „Auch diese Bahnen kann man beschreiben, wenn man eine kleine, konstante Zusatzkraft annimmt, die Richtung Sonne wirkt – wie die Rindler-Kraft“, erklärt Grumiller.

„Es wird spannend sein, dieses vereinfachte Modell in voller Allgemeinheit in die vierdimensionale Relativitätstheorie einzubauen“, meint Grumiller, und erhofft sich davon ein besseres Verständnis dafür, was die Stärke der Rindler-Kraft bestimmt, und einen Einblick in die Frage, wie sie mit der „dunklen Materie“ zusammenhängt. Denn wie Grumiller betont, bleibt sein Modell derzeit noch agnostisch in Bezug auf die Frage ob es „dunkle Materie“ gibt, wie es die gängige Lehrmeinung vorsieht.

(Technische Universität Wien, 22.11.2010 – NPO)

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