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Medizin

„Schweinegrippe“: Mini-Mutation bewirkt tödlichen Verlauf

Austausch nur einer Aminosäure ermöglicht schweren Befall von bewimperten Atemwegszellen

Die besonders gefährliche Variante D222G des Influenzavirus (rot gefärbt) befällt Zellen mit Flimmerhärchen (dunkelgrau). © Philipps-Universität Marburg / AG Matrosovich

Der Austausch eines einzigen Proteinbausteins genügt, damit das Schweinegrippe-Virus H1N1 neue Zielzellen befallen und lebensbedrohliche Atemwegsbeschwerden auslösen kann. Das haben jetzt Wissenschaftler aus Marburg und London herausgefunden. Die abgewandelten Viren infizieren bevorzugt bewimperte Zellen in Lunge und Bronchien. der aktuellen Studie in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift „Journal of Virology“.

Die „Schweinegrippe neuen Typs“ weitete sich im vergangenen Jahr zu einer weltweiten Seuche aus, verursacht durch das Influenzavirus H1N1. Erst vor kurzem gab die Weltgesundheitsorganisation Pandemie-Entwarnung. Doch auch wenn die unmittelbare Gefahr gebannt scheint, gibt es ausreichend Gründe, wachsam zu bleiben und das Virus und sein Infektionsverhalten weiter zu beobachten. Denn nach wie vor ist beispielsweise nicht geklärt, warum der Großteil der Infektionen mild bis harmlos verlief, in einigen wenigen Fällen jedoch die Patienten an der Grippe sogar starben.

Mutierte Variante von H1N1 erzeugt

Um den Grund für die gravierenden Krankheitsverläufe zu ermitteln, führten Wissenschaftler vom Institut für Virologie der Philipps-Universität Marburg nun Versuche mit gentechnisch veränderten Virusvarianten durch. Sie erzeugten Varianten des Grippeerregers, bei denen eine Aminosäure des Oberflächenproteins Hämagglutinin ausgetauscht ist. Hämagglutinin ist für die Bindung des Virus an Rezeptoren auf der Wirtszelle zuständig und sorgt für die Verschmelzung von Virushülle und Zellmembran – einer Voraussetzung dafür, dass das Virusgenom ins Zellinnere gelangen kann.

Schwerer Verlauf durch infizierte Flimmerzellen

Die für das Hämagglutinin empfänglichen Rezeptorvarianten verteilen sich jedoch sehr ungleich auf verschiedene Gewebe und binden Influenzaviren unterschiedlich leicht. Wie die Forscher nachweisen, infiziert das an der Position D222G mutierte Virus in stärkerem Maße Zellen, die mit Flimmerhärchen oder Wimpern ausgestattet sind. Solche Zellen kleiden unter anderem Lungen und Bronchien aus und verfügen vorwiegend über eine bestimmte Rezeptorvariante. „Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der verbesserten Bindung an diesen Rezeptor und der vermehrten Infektion bewimperter Zellen“, schreiben die Autoren um Mikhail Matrosovich und Professor Hans-Dieter Klenk.

Weitere Evolution muss beobachtet werden

Wer sich mit dieser Virusvariante ansteckt, ist besonders stark gefährdet, schwer oder gar tödlich an Grippe zu erkranken. Wenn die bewimperten Zellen der Atemwege befallen sind, ist der Organismus nicht mehr in der Lage, Schleim aus der Lunge zu transportieren und auf diese Weise Keime zu entfernen. „Die veränderte Rezeptorvorliebe und Umorientierung auf bewimperte Zellen kennzeichnen einen Krankheitserreger von erhöhter Gefährlichkeit“, schlussfolgern die Wissenschaftler; „dies unterstreicht die Notwendigkeit, die Evolution der Viren genau zu verfolgen“.

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(Philipps-Universität Marburg, 22.11.2010 – NPO)

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