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Physik

Antimaterie erstmals in Gefangenschaft

Magnetkäfig verhindert die sofortige Auslöschung künstlich erzeugter Antiwasserstoffatome

Vereinfachtes Schema der achtpoligen Magnetanordnung der Antimateriefalle © Katie Bertsche

Zum ersten Mal ist es Physikern gelungen, künstlich erzeugte Antimaterie einzufangen und ihre sofortige Auslöschung durch Reaktion mit Materie zu verhindern. Ein spezieller Magnetkäfig speicherte die Antiwasserstoffatome immerhin knapp eine Zehntelsekunde lang – nach Maßstäben der Teilchenphysik fast schon eine Ewigkeit. Dieser jetzt in „Nature“ veröffentlichte Durchbruch eröffnet erstmals die Möglichkeit, die Eigenschaften der Antimaterie in Experimenten zu untersuchen und damit grundlegende Fragen der Physik zu klären.

Der Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie verdanken wir vermutlich unsere Existenz. Denn da beide Formen der Materie sich gegenseitig auslöschen, muss es nach gängiger Lehrmeinung beim Urknall eine Dominanz der Materie gegeben haben. Antimaterie ist heute nicht mehr zu finden und kann nur in aufwändigen Experimenten im Teilchenbeschleuniger künstlich erzeugt werden. 2002 gelang erstmals für wenige Sekundenbruchteile die Produktion eines Antiwasserstoffatoms bestehend aus einem Antiproton und einem Positron am Experiment ALPHA (Antihydrogen Laser PHysics Apparatus) des Kernforschungszentrum CERN bei Genf.

Schwer einzufangen

Doch eine Möglichkeit, dieses ungeladene Teilchen einzufangen oder gar für weiter gehende Untersuchungen zu speichern, gab es bisher nicht. Denn sobald das frisch erzeugte Antiwasserstoffteilchen der es umgebenden Materie zu nahe kommt, wird es ausgelöscht und löst sich in einer Art Explosion in Energie auf. Erste Voraussetzung für eine „Antimateriefalle“ ist daher eine extrem starke Abkühlung der Antiwasserstoffteilchen und der sie erzeugenden Positronen und Antiprotonen. Bei nur 0,5 Kelvin, einer Temperatur nahe am absoluten Nullpunkt, wird ihre Eigenbewegung so gering und langsam, dass ein Einfangen mit Hilfe magnetischer „Käfige“ erst möglich wird.

Achtpolige Magnetanordnung als Käfig

Einen solchen Käfig haben jetzt Forscher einer internationalen Kollaboration am CERN entwickelt und erfolgreich getestet: „Wir konnten 38 Atome einfangen, was eine unglaublich geringe Menge ist, weit von dem entfernt, was wir bräuchten um das Raumschiff Enterprise anzutreiben“, erklärt Rob Thompson, Physiker der Universität von Calgary und einer der Forscher der ALPHA-Kollaboration.

Der Trick gelang den Wissenschaftlern durch einen achtpoligen Magneten, der die supergekühlten Teilchen quasi in der Schwebe hielt und so verhinderte, dass sie an die Wände des Geräts prallen konnten.

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Außenansicht der Antimateriefalle ALPHA © Chukman So / ALPHA

Knapp eine Zehntelsekunde lang konserviert

„Aus Gründen, die noch keiner bisher versteht, sonderte die Natur die Antimaterie aus. Es ist daher sehr befriedigend und auch ein wenig überwältigend, das ALPHA-Instrument anzusehen und zu wissen, dass es stabile, neutrale Atome aus Antimaterie enthält“, erklärt Jeffrey Hangst, Physiker der Aarhus Universität und Sprecher der ALPHA-Kollaboration. Mit Hilfe einer den Reaktionsraum umgebenden dreischichtigen Detektorhülle konnten die Forscher das typische Energiemuster einer Antimaterie-Materieauslöschung einfangen und so die genaue Zeitdauer der „Gefangenschaft“ der Antiwasserstoffatome bestimmen. Immerhin rund eine Zehntelsekunde lang gelang es ihnen jeweils, die Antimaterie im Magnetkäfig zu halten, bevor sie ausgelöscht wurde.

Grundlegende Experimente zur Asymmetrie jetzt möglich

„Dies ist eine große Entdeckung. Sie könnte Experimente ermöglichen, die entweder dramatische Veränderungen der gängigen Sicht der Grundlage der Physik erfordern, oder aber das bestätigen, was wir bereits jetzt wissen“, erklärt Thompson. Für die Physiker bedeutet bereits diese kurze Zeitspanne einen entscheidenden Fortschritt und eine große Chance, nun endlich weitergehende Experimente und Tests an Antimaterie durchführen zu können.

„Zu Beginn werden dies eher grobe Experimente zum Test der CPT-Symmetrie sein, aber da bisher diese Art von Messungen an Antimaterie-Atomen überhaupt nicht möglich war, ist das ein guter Anfang“, so Joel Fajans, Physiker an der Universität von Kalifornien in Berkeley und ebenfalls an den ALPHA-Experimenten beteiligt.

(University of California – Berkeley, CERN, University of Calgary, 18.11.2010 – NPO)

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