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Biotechnologie

Forscher machen Haut zu Blut

Erste direkte Umwandlung ohne Umweg über Stammzellen

Schema der Umwandlungsschritte © Mick Bhatia / Nature

Zum ersten Mal haben Wissenschaftler menschliche Hautzellen direkt in Blutzellen umgewandelt – ohne den Umweg über pluripotente Stammzellen. Dieser jetzt in „Nature“ erschienene Durchbruch könnte bald Knochenmarks-Transplantationen und die mühsame Suche nach Spendern überflüssig machen. Denn Patienten mit Leukämie oder anderen Blutkrankheiten könnten dann neues Blut direkt aus ihren eignen Hautzellen erhalten. Das Überspringen des Stammzell-Stadiums reduziert zudem das Risiko unerwünschter Krebszell-Bildung.

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Normalerweise sind die Fibroblasten in unserer Haut auf die Produktion neuer Haut spezialisiert. Wie die meisten Zellen im Körper von Erwachsenen haben sie die Fähigkeit verloren, beliebige andere Zelltypen herzustellen – eine Fähigkeit, die Stammzellen noch besitzen und die als Pluripotenz bezeichnet wird. In der Vergangenheit ist es jedoch bereits mehrfach gelungen, die Hautfibroblasten zu reprogrammieren und zurück in Stammzellen zu verwandeln. Aus diesen lassen sich dann wiederum Zellen anderer Organe züchten.

Doch jetzt haben Wissenschaftler um Mick Bhatia, Leiter am Stem Cell and Cancer Research Institute der kanadischen McMaster Universität erstmals eine „Abkürzung“ für diesen komplexen und vielschrittigen Reprogrammierungs-Prozesses entdeckt: Sie schafften es, die Hautfibroblasten direkt in Blutzellen und damit einen anderen Zelltyp umzuwandeln, ohne dass sie zuvor erst zu Stammzellen gemacht worden waren.

Blutzell-Marker als erstes Indiz

Entdeckt wurde diese Möglichkeit fast schon zufällig, nachdem die Forscher den ersten Schritt der Reprogrammierungs-Kaskade durchgeführt hatten. Dabei wird den Hautfibroblasten mit Hilfe eines Retrovirus ein Gen eingeschleust, das normalerweise in der Embryonalentwicklung aktiv ist. Es erzeugt Oct-4, einen Transkriptionsfaktor, der vor allem dort benötigt wird, wo im Fötus neue Gewebe entstehen.

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„Die Reprogrammierung hin zur Pluripotenz erfordert eine Kaskade von Ereignissen, darunter die Erzeugung verschiedener intermediärer Zellen“, so die Forscher in ihrem Artikel. „Ein Teil dieser Zwischenstadien bildet Kolonien, die eine rundliche Morphologie ähnlich der von blutbildenden Zellen besitzen und den Marker CD45 exprimieren.“ Dieser Marker gilt als typisches Merkmal von blutbildenden Zellen. Zudem stellten Bhati und seine Kollegen fest, dass sich Blut-Vorläuferzellen aus Nabelschnurblut in Zellkulturen mit Vorliebe an genau diesen Typ von Hautfibroblasten anlagerten.

Verschiedene Sorten von Blutzellen erzeugt

Aus diesen Beobachtungen schlossen die Forscher, dass die CD45-erzeugenden Zellen offenbar wichtige funktionale Merkmale blutbildender Zellen in sich tragen mussten. Aber bedeutet dies auch, dass sie sich vollständig umwandeln ließen? Um dies zu testen versetzten die Wissenschaftler die CD45-Zellkulturen mit blutspezifischen Wachstumsfaktoren, speziellen Zytokinen. Tatsächlich gelang es ihnen auf diese Weise, aus den veränderten Hautfibroblasten rote Blutkörperchen zu züchten, aber auch weitere Blutzelltypen wie Granulozyten, Monozyten und Megakaryoten.

„Diese bahnbrechenden Ergebnisse sind die ersten, die zeigen, dass menschliche Hautzellen direkt in Blutzellen umgewandelt werden können, durch einen Prozess, der das pluripotente Stadium auslässt“, erklärt Cynthia Dunbar von den National Institutes of Health im amerikanischen Bethesda. Entscheidend daran: Durch das Überspringen des pluripotenten Stammzell-Stadiums reduziert sich das Risiko für unerwünschte krebserregende Veränderungen extrem.

Knochenmarks-Transplantationen bald überflüssig?

Damit könnte diese Methode zukünftig beispielsweise bei Patienten mit Blutkrebs oder anderen Blut- und Knochenmarkserkrankungen eingesetzt werden. Ihnen müsste nur ein kleines Stück Haut entfernt werden, um daraus neue Blutzellen und damit neues, gesundes Blut zu erzeugen. „Die Produktion von Blut aus den eigenen Hautzellen eines Patienten hat das Potenzial, Knochenmarkstransplantationen und die mühsame Suche nach passenden Spendern überflüssig zu machen“ Nach Angaben der Forscher könnten die ersten klinischen Studien bereits 2012 beginnen.

Die Wissenschaftler haben die Umwandlung in den letzten zwei Jahren mehrfach an Hautzellen von sowohl jungen als auch alten Menschen durchgeführt um zu belegen, dass sie in jedem Alter funktioniert. „Wir haben gezeigt, dass dies mit menschlicher Haut funktioniert”, erklärt Bhatia. „Wir wissen wie es geht und glauben, dass wir diesen Prozess sogar noch verbessern können. Jetzt werden daran arbeiten, auch andere Typen menschlicher Zellen aus Haut herzustellen, erste vielversprechende Ansätze gibt es schon.“

(McMaster University / Nature, 08.11.2010 – NPO)

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