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Geowissen

Flüsse mit „Hochwasser-Gedächtnis“

Statistiker analysiert Zusammenhang von Klima und extreme Hochwasser

In den letzten Jahren häufen sich die „Jahrhundert“- oder gar „Jahrtausend“-Fluten an deutschen Flüssen. Woran liegt das? Ein Statistiker der Universität Dortmund ist jetzt den Ursachen auf den Grund gegangen und hat dabei unter anderem das „Gedächtnis“ der Pegelstände enthüllt.

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1993 bricht der Rhein wieder einmal alle Rekorde: berstende Dämme und Deiche, überflutete Straßen und Plätze, vollgelaufene Keller. Die Schäden gehen in die Milliarden. Schnell ist das Ereignis von 1993 zum „Jahrhunderthochwasser“ gekürt, doch schon 1995 stellt erneut ein Hochwasser alles bisher Dagewesene in den Schatten. Ende Januar erreicht der Rhein am niederländischen Grenzpegel von Lobith eine Rekordhöhe von 16,68 Metern. Natürlich stellt sich die Frage, was schuld ist an den Wasserfluten. Die Versiegelung der Landschaftsfläche, fehlende Überflutungsflächen am Oberlauf, oder gar das Klima? Sorgt die zunehmende Erwär-ung der Erdatmosphäre auch für gewaltigere Hochwasser? Dieser Frage geht jetzt der Statistiker Dr. Philipp Sibbertsen vom Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik der Universität Dortmund nach.

100 Jahre Rhein im Rechner

In seinem Computer hat Sibbertsen die Pegelstände von über 100 Jahren Rhein abrufbereit. Sechs Rheinpegel nimmt er unter die Lupe, dazu die Pegel zahlreicher Nebenflüsse wie Main, Mosel und Neckar, die ihr Übriges dazu tun, den Rhein mit Wasser aufzufüllen. Beauftragt, finanziert und mit reichlich Daten unterstützt wird Sibbertsen von der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz, die vor allem eines wissen will: Wie verhalten sich der Rhein und seine Nebenflüsse langfristig? Und: Ist in den Pegeln eine Klimaveränderung abzulesen?

Eine wahre Aufgabe für Statistiker also, aus einer Analyse von 100 Jahren Vergangenheit eine Prognose für die künftig anstehenden Jahrzehnte zu geben. Unscheinbare, krakelige Messkurven sind es, die Sibbertsens Grundlage bilden, und die mehr Information bereithalten, als es der Laie auf den ersten Blick vermutet. Der Fachmann entdeckt einzelne Effekte darin, Überlagerungen und örtliche Eigenheiten. „Je mehr wir rheinabwärts gehen, desto geringer wird der Einfluss der Schneeschmelze auf den Rheinpegel und desto stärker kommt der Regen ins Spiel. Während die Schneeschmelze über einen langen Zeit-raum viel Wasser einbringt, bringt der Regen kurzzeitig einen großen Scheitel.“

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Eine Klimaveränderung würde bedeuten, dass die Minima und Maxima in den Pegelständen extremer werden. So würde bei einer Klimaerwärmung die Schneeschmelze früher eintreten, während sich gleichzeitig die Regenfälle nach hinten verschieben. „Der Super-GAU wäre, wenn sich die Peaks von Schneeschmelze und Regenwasser deutlich aufeinander zu bewegen. Dann hätten wir ein Super-Hochwasser“, warnt Sibbertsen. So sei es – ganz vereinfacht und die besondere Wetterlage in dieser Situation außer Acht gelassen – im Jahr 2000 beim Elbehochwasser in Ostdeutschland gewese. „Das Regenwasser hätte die Elbe sonst locker auffangen können, aber so musste sie einfach überlaufen“, bemerkt Sibbertsen und kehrt zurück zur Ausgangsfrage, wie sich der Verlauf der Hochwasserereignisse langfristig entwickeln wird. „Gibt es noch andere Gründe, die uns so häufig Hochwasser bescheren?“, fragt er sich immer wieder.

„Gedächtnis“ des Wassers

Schließlich gibt es noch ein „Gedächtnis“ bei langen Zeitreihen wie etwa Pegelständen. „Bis zu 200 Monate kann dieses Langzeitgedächtnis zurückreichen“, ist Sibbertsen selbst verblüfft, also über 16 Jahre. Hierdurch entsteht eine Struktur, die über einen langen Zeitraum hinweg sehr hohe Abflüsse verursacht, andererseits dann aber über einen langen Zeitraum niedrige Abflüsse nach sich zieht. Es ist nicht auszuschließen, dass die vielen Hochwasser der vergangenen Jahre auf so eine Phase mit hohen Abflüssen zurückzuführen sind.

„Um beim Rhein zu bleiben: Nehmen sie den Bodensee. Er hat ziemlich wenig Wasser und jetzt kommt eine Hochwasserwelle. Der Bodensee kann sie aufnehmen, so dass rheinabwärts gar nichts davon zu spüren ist. Aber eine zweite, vielleicht sogar kleinere Hochwasserwelle kommt plötzlich ungebremst durch, einfach weil der Bodensee jetzt voll ist und nichts mehr speichern kann.“ Diese Überlagerungen muss Sibbertsen erkennen, um langfristige, nicht-zufällige Trends wie Klimaveränderung von zufälligen, „stochastischen“ Ereignissen zu unterscheiden.

Doch nur Zufall?

Hat er nun schon erste Ergebnisse? Kann er anhand der Analyse seiner Daten eine Klimaveränderung feststellen? Für Sibbertsen sehen die Hochwasserereignisse eher nach stochastischen Trends aus, sie wären also rein zufällig. „Ich persönlich wäre mit Aussagen wie Klimaerwärmung sehr vorsichtig, ohne die Gefahr jedoch herunterspielen zu wollen. Aber es ist wirklich nicht eindeutig!“ Nächstes Jahr, wenn die Koblenzer Bundesanstalt Sibbertsens Auswertung in den Händen hält wird sie einen Anhaltspunkt dafür haben, ob die getroffenen Hochwassermaßnahmen am Rhein ausreichend sind beziehungsweise, wie lange sie noch ausreichen werden. Denn eines kann Sibbertsen jetzt schon voraussagen: das nächste Hochwasser kommt bestimmt.

(Universität Dortmund, 23.07.2004 – NPO)

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