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Paläontologie

Bernstein enthüllt Indiens Urzeit-Welt

Eingeschlossene Insekten zeigen: Der Subkontinent war längst nicht so lange isoliert wie gedacht

Der indische Bernstein enthält noch komplett erhaltene Insekten - eine extreme Rarität. Normalerweise sind die Einschlüsse komplett verwest; was man sieht, ist in der Regel nur eine hauchdünne „Insekten-Tapete“. Die Abbildung zeigt eine Ameise, die vor mehr als 50 Millionen Jahren ins Harz eingeschlossen wurde. © Steinmann-Institut / Universität Bonn

Seit zwei Jahren untersucht ein internationales Forscherteam 50 Millionen Jahre alte Bernsteinfunde aus dem Nordwesten Indiens. Jetzt haben die Paläontologen überraschende Resultate vorgelegt. Denn die in das fossile Harz eingeschlossenen Insekten werfen ein neues Licht auf die Geschichte des Subkontinents: Dieser scheint danach längst nicht so lange isoliert durch die Weltmeere gedriftet zu sein wie bislang vermutet.

Die Forscher der Universität Bonn berichten zusammen mit indischen und US-Kollegen in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) über den Schatz, der erst ansatzweise gehoben ist.

Hohlraum mit „Insekten-Fototapete“

Wer stolz darauf ist, einen Bernstein mit einem darin eingeschlossenen Tierchen sein Eigen zu nennen, der sollte jetzt vielleicht nicht weiter lesen: Was da im Jahrmillionen alten Baumharz zu sehen ist, ist nämlich praktisch immer nur eine hauchdünne Fassade. Würde man den Stein auseinander sägen, fände man nichts weiter als einen Hohlraum, ausgekleidet mit einer Art „Insekten-Fototapete“.

Anders sieht es mit dem Bernstein aus, den der Bonner Paläontologe Professor Jes Rust und seine Kollegen seit zwei Jahren untersuchen. Die an Kräuterbonbons erinnernden Brocken haben es im wahrsten Sinne des Wortes in sich: Sie enthalten zahlreiche Insektenleichen, die trotz ihrer 50 Millionen Jahre währenden Gefangenschaft teilweise extrem gut erhalten sind.

Noch besser: Das versteinerte Harz lässt sich auch noch sehr leicht dazu überreden, seinen Inhalt wieder freizugeben. „Der Bernstein ist nur unvollständig polymerisiert und lässt sich daher leicht auflösen“, erklärt Rust. Mehr als 700 Gliederfüßer aus 55 verschiedenen Tierfamilien haben die Forscher darin bislang gefunden – größtenteils Insekten, aber auch Spinnen, Milben und Pflanzenreste.

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Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Schildlaus mit ungewöhnlichen Augen, die im indischen Bernstein eingeschlossen war. © Steinmann-Institut / Universität Bonn

Einzigartige Tier- und Pflanzenwelt?

Die unansehnlich braunen Brocken stammen von der Küste der nordwestindischen Provinz Gujarat. Ihr Inhalt wirft ein neues Licht auf die Geschichte des Subkontinents: Dieser soll nämlich vor 160 Millionen Jahren von der ostafrikanischen Landmasse „abgebrochen“ und dann isoliert durch die Weltmeere gedriftet sein – mit einem hohen Tempo von etwa 20 Zentimetern pro Jahr. Erst vor etwa 50 Millionen Jahren ist Indien dann mit Asien zusammen gestoßen. Bei diesem Crash hat sich der Himalaja aufgefaltet.

Wenn das so stimmt, müsste Indien einhundert Millionen Jahre lang völlig isoliert gewesen sein. Diese Zeit hätte wohl gereicht, um eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt entstehen zu lassen. Der indische Bernstein ist vor 53 Millionen Jahren entstanden. Ähnlich wie ein uraltes Foto zeigt er den Forschern zufolge also, wie das Leben in Indien kurz vor dem Zusammenstoß mit dem asiatischen Kontinent aussah. Diese Momentaufnahme sollte dann also eigentlich vor allem Tierarten zeigen, die es anderswo nicht gibt.

Als Schmuckstücke eignen sich die unansehnlich-braunen Brocken eher weniger. © Frank Luerweg / Universität Bonn

Insel-Hopping vor dem großen Crash

Genau das tut sie aber nicht: Ähnliche Insekten-Fossilien wie in Gujarat wurden auch in Europa oder gar in Mittelamerika gefunden. „Das spricht dafür, dass es schon lange vor Entstehung des Bernsteins einen regen Artenaustausch gegeben hat“, spekuliert Rust. Möglicherweise gab es damals an der Grenze zwischen den Kontinentalplatten lange Ketten vulkanischer Inseln, ähnlich wie heute in Japan oder Indonesien. Per „Insel-Hopping“ könnten sich so die Insektenarten in Indien und Asien vermischt haben – und das schon viele Millionen Jahre vor dem großen Crash. Von Asien aus hätten sie sich dann weiter ausgebreitet.

Auch der Bernstein als solcher wirft nach Angaben der Wissenschaftler Rätsel auf: Dass Pflanzen oder Tiere im Baumharz kleben bleiben und schließlich davon umschlossen werden, passiert ziemlich häufig. Normalerweise verwesen sie dann jedoch mit der Zeit. „In unserem Bernstein scheint dagegen irgendein Bestandteil des Harzes die Insekten imprägniert zu haben“, sagt Rust.

Ausgedehnte tropische Wälder vor 50 Millionen Jahren

Zudem stammt das Harz augenscheinlich von Bäumen aus der Familie der Flügelfruchtgewächse, die ihren Verbreitungsschwerpunkt heute im indo-malayischen Raum haben. Bislang dachte man, dieser Pflanzentypus habe seine Blütezeit vor 25 Millionen Jahren erlebt. „Der indische Bernstein beweist, dass dort bereits vor mehr als 50 Millionen Jahren ausgedehnte tropische Wälder von Flügelfruchtgewächsen existiert haben müssen. Das ist ein große Überraschung“, so Rust.

(idw – Universität Bonn, 26.10.2010 – DLO)

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