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Mikrobiologie

Auch Bakterien können aufrecht „gehen”

Forscher entdecken bisher unbekanntes Bewegungsmuster von Mikroben auf Oberflächen

Schematische Repräsentation eines aufrecht „gehenden“ Bakteriums auf einer Oberfläche © Gerard Wong/ UCLA/ CNSI

Bakterien auf einer festen Oberfläche kriechen nicht nur, sie können auch aufrecht „gehen“. Dabei richten sie sich senkrecht auf und ziehen sich durch Kontraktion von Zellwandausstülpungen wie mit kleinen Füßchen vorwärts. Wissenschaftler entdeckten diese bisher unbekannte Fortbewegungsart erst durch die Auswertung von tausenden von Stunden Videoaufnahmen. Wie sie in „Science“ berichten, hilft die neue Erkenntnis auch dabei, die Bildung von Biofilmen, schleimiger Bakterienmatten, besser zu verstehen.

Biofilme gelten als Urform des Lebens: Schon vor gut drei Milliarden Jahren lebten Mikroorganismen in solchen dünnen, schleimigen Überzügen, die auf nahezu allen festen Untergründen über oder unter Wasser vorkommen können. Zum Problem können diese Biofilme in der Medizin werden, da Krankheitserreger, wie beispielsweise das Bakterium Pseudomonas aeruginosa, in den Schleimschichten teilweise selbst Hygienemaßnahmen überstehen können. Ursache dafür sind neben dem schützenden Schleimüberzug auch andere veränderte Merkmale der Erreger, die teilweise noch kaum erforscht sind.

Bakterienbewegung auf Oberfläche gefilmt

So ist bisher nur in Teilen bekannt, wie genau die Keime von der freien zur Oberflächen-gebundenen Lebensweise wechseln. Um diesen Prozess der Filmbildung besser zu verstehen, haben jetzt Wissenschaftler mehrerer amerikanischer Universitäten unter Leitung von Maxsim Gibiansky vom Nano Systems Institut der Universität von Kalifornien in Los Angeles die Bewegung von Bakterien im freien und im gebundenen Zustand untersucht. Dafür werteten sie Mikroskopvideos von Pseudomonas aeruginosa aus und klassifizierten die verschiedenen Bewegungsmuster der Keime.

Mikroben mit aufrechtem „Gang“

Zu ihrer Überraschung entdeckten die Forscher kurz nach Anlagerung der Bakterien auf einer glatten Oberfläche und vor der Bildung einer Mikrokolonie eine ganz neues „Gangart“ der Keime: Einige von ihnen richteten sich senkrecht auf und bewegten sich quasi aufrecht „gehend“ auf der Oberfläche fort. Als „Beine“ nutzten sie dabei Ausstülpungen ihrer Zellwand, die so genannten Typ-IV-Pili (TFP). Andere dagegen krochen flach an die Oberfläche gedrückt darüber hinweg. In Zeitrafferaufnahmen zeigte sich, dass die Mikroben auch zwischen beiden Bewegungsmustern wechselten.

„Die Bedeutung liegt darin, dass wir zeigen, dass Bakterien dazu fähig sind, ‚aufzustehen’ und sich zu bewegen, auch wenn sie vertikal aufgerichtet sind”, erklärt Joshua D. Shrout von der Universität von Notre Dame in Indiana. „Indem wir die Bewegung von tausenden von Bakterien minuten- und stundenlang beobachteten, konnten wir den aufrechten ‚Gang‘ beobachten und verifizieren, dass er mit einiger Häufigkeit auftritt.“

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Normal „kriechendes“ Bakterium auf einer Oberfläche © Gerard Wong/ UCLA/ CNSI

Leichtere Ablösung

Besonders oft trat er dann auf, bevor sich die Bakterien wieder von der Oberfläche lösten. Offenbar verleiht ihnen die aufrechte Haltung dafür eine bessere Startposition. Die Aufnahmen enthüllten auch, dass die Wegstrecken der „gehenden“ Bakterien sehr viel schnörkeliger und weniger geradlinig verliefen als die der kriechenden. Im Durchschnitt wechselte die Richtung schon nach rund zwei Millimetern, was nach Ansicht der Wissenschaftler darauf hindeutet, dass die Fortbewegungsrichtung willkürlich durch das Einziehen einer der ausgestreckten Pili bestimmt wurde.

Gleichzeitig ermöglicht diese gewundene Gangart ein besseres und genaueres Erkunden des Terrains als die sonst übliche geradlinigere Bewegung. Damit könnte es auch einen wichtigen Aspekt für die Bildung von Biofilmen darstellen. Die Forscher beobachteten zudem, dass bei Zellteilungen meist eine Tochterzelle an Ort und Stelle blieb, während die andere sich kriechend oder „gehend“ davon bewegte. Möglicherweise trägt dies zur gleichmäßigen Verteilung der Mikroben in den Biofilmen bei.

(Science / AAAS, 11.10.2010 – NPO)

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