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Physik

Teilchenspuren von bisher unbekannter Materieform endeckt?

CMS-Detektor am LHC könnte Indiz für Vorform des Quark-Gluon-Plasmas entdeckt haben

Teilchenspuren im CMS bei Proton-Proton-Kollision © CERN

Am LHC, dem größten Teilchenbeschleuniger der Welt, haben Physiker Verknüpfungen zwischen Teilchenbahnen entdeckt, wie sie bei Protonen-Kollisionen bisher noch nie gesehen wurden. Möglicherweise sind sie ein Indiz für einen Zustand der Materie noch vor der Erzeugung eines Quark-Gluon-Plasmas, eines kurz nach dem Urknall vorliegenden extrem dichten und heißen Materiezustands.

Schneller als erwartet liefert das Experiment CMS am Large Hadron Collider (LHC) am CERN in Genf aufsehenerregende Ergebnisse. CMS ist eines von zwei Vielzweckexperimenten am LHC, die für die Suche nach neuen physikalischen Erkenntnissen gebaut wurden. Es ist ausgelegt, verschiedenste Teilchen und Phänomene nachzuweisen, die bei den hochenergetischen Proton-Proton- und Schwerionenkollisionen am LHC entstehen.

Neuer Effekt bei Protonenkollision

Die CMS-Kollaboration hat heute einen Artikel zur Veröffentlichung freigegeben, der Anzeichen für ein neues Phänomen in Proton-Proton-Kollisionen beschreibt. Bei Kollisionen mit den jetzt erreichbaren höchsten Energien und bei Ereignissen mit „hoher Multiplizität“, in denen hundert oder mehr elektrisch geladene Teilchen gleichzeitig produziert werden, wurden Verknüpfungen zwischen gewissen Teilchenbahnen gefunden, wie sie bei Protonen-Kollisionen bisher noch nie gesehen wurden.

Guido Tonelli, der Sprecher des CMS-Experimentes erklärte in einem speziell einberufenen Seminar den Kollegen im CERN und den weltweit per Videokonferenz zugeschalteten Physikern: „Wir haben zwar aktiv nach einem solchen Phänomen gesucht, aber sein Auftreten bei Proton-Proton-Kollisionen kam dennoch unerwartet und ist deshalb äußerst interessant. Mehr Daten werden den Ursprung dieses Effekts ergründen lassen. Wir befinden uns jetzt auf dem Weg, Schritt für Schritt das neue Territorium zu erforschen, das LHC eröffnet hat.”

Die balkenförmige Erhebung (rechts) deutet auf eine Verknüpfung von Teilchenspuren hin. Sie könnte sogar der Hinweis auf einen neuen Materiezustand sein © CERN

Unterschiede zu bisherigen Messungen

Dies ist die erste Beobachtung eines solchen Phänomens in Proton-Proton-Kollisionen, und viele verschiedene Interpretationen seines Ursprungs sind möglich. Obwohl es noch keine definitive Erklärung für den Grund dieses Effekts gibt, erinnert die neue Struktur an ähnliche Phänomene, die auch bereits am amerikanischen Schwerionenbeschleuniger RHIC (Relativistic Heavy Ion Collider) beobachtet wurden. Diese wurden als charakteristisch für ein Quark-Gluon-Plasma, eine extrem heißen und dichten Materieform interpretiert, doch die jetzignen LHC-Daten zeigen dazu einige signifikante Unterschiede.

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Materiezustand noch vor dem Quark-Gluon-Plasma?

„Derartige Muster in den Teilchenverteilungen wurden vorher nur in hochenergetischen Schwerionenkollisionen gesehen, bei denen Quark-Gluon-Plasma produziert wurde“, erklärt Anton Rebhan von der Technischen Universität Wien, der an der Theorie des Quark-Gluon-Plasmas forscht. „Eine mögliche Erklärung dieses Phänomens ist, dass diese Strukturen einen Zustand noch vor der Erzeugung des Quark-Gluon-Plasma widerspiegeln“, meint der Wiener Physiker.

Ein zu solchen Strukturen passender hypothetischer Vorläufer des Quark-Gluon-Plasmas wird in der theoretischen Physik tatsächlich seit einiger Zeit diskutiert und manchmal als „Glasma“ bezeichnet, aber niemand kam auf die Idee, dass es in Protonenkollisionen auf diese Weise beobachtbar werden könnte. „Die hohen Energien und Teilchendichten des LHC machen es offenbar möglich, einen relativ direkten Blick auf diesen komplexen und faszinierenden Materiezustand zu werfen, der praktisch rein aus stark wechselwirkenden Gluonen besteht“, vermutet Anton Rebhan.

Messungen mit höherer Intensität sollen folgen

Weitere detaillierte Analysen von größeren Datenmengen für diese Klasse von Ereignissen mit Hoher Multiplizität wurden bereits in Angriff genommen. Die Erhöhung der Intensität der LHC-Teilchenstrahlen in den nächsten Monaten wird mindestens hundert Mal mehr Daten bewirken, wodurch dieser Effekt genauer untersucht werden kann und Licht auf den dahinter steckenden Mechanismus fallen wird. CMS plant ähnliche Studien für den demnächst stattfindenden Betrieb des LHC mit Schwerionen.

(CERN / Austrian Academy of Sciences, 23.09.2010 – NPO)

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