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Neurobiologie

„Ego-Shooter” fördern Entscheidungsvermögen

Training für ungewöhnlich breit gefächertes Spektrum von kognitiven Leistungen

Die umstrittenen „Ego-Shooter“ sind zumindest in einer Hinsicht besser als ihr Ruf: Wissenschaftler haben festgestellt, dass diese Spiele die Fähigkeit fördern, schnelle und akkurate Entscheidungen in neuen Situationen zu treffen. Wie die Forscher in „Current Biology“ berichten, reichen schon 50 Stunden an einem solchen Computerspiel aus, um eine unerwartet breitgefächerte positive Wirkung auf Auffassungsgabe und Entscheidungsfähigkeit zu erzielen – mögen muss man das Spiel dafür nicht.

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„Ego-Shooter” gelten nicht gerade als intellektuell anspruchsvolle oder politisch sonderlich korrekte Spielekost. Meist geht es darum, sein Alter-Ego in einer dreidimensionalen Spielwelt durch eine Reihe von Kämpfen zu führen und dabei so viele Gegner wie möglich abzuschießen und zu besiegen. Doch Wissenschaftler um Daphne Bavelier von der Universität von Rochester haben jetzt eine überraschend positive Seite solcher Spiele entdeckt: Sie trainieren einen unerwartet großen Bereich von kognitiven und sensomotorischen Leistungen.

In ihrer Studie verglichen die Forscher die Fähigkeiten von Ego-Shooter-Spielern mit denen von Nicht-Spielern in einer Reihe von unerschiedlichen Experimenten. Schwerpunkt lag dabei auf Tests, in denen das schnelle Erfassen und Interpretieren von Situationen gefragt war und darauf basierende Entscheidungen getroffen werden mussten. In einem der Tests mussten die Probanden beispielsweise die Hauptbewegungsrichtung von Punkten in einem abstrakten Muster bestimmen, in einem anderen herausfinden, ob ein per Kopfhörer eingespieltes Geräusch im rechten oder linken Ohr zu höen war.

Spieler weit überlegen

Es zeigte sich, dass die Spieler in nahezu allen Tests dieser Art den Nichtspielern überlegen waren. Sie waren durchschnittlich schneller, ohne dass sie dabei an Genauigkeit einbüßten. Ihnen fiel es offensichtlich leichter, schnell und akurat Informationen aus den wahrgenommenen Signalen zu extrahieren und daraus die richtigen Entscheidungen abzuleiten. Überraschend daran war vor allem, dass sich diese Fähigkeit über einen breiten Bereich von Aufgaben erstreckte, ob visuelle Wahrnehmung, akustische oder in punkto Aufmerksamkeit und Konzentration.

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Viele Trainingseffekte, auch von Spielen, bewirken normalerweise nur Verbesserungen in einem engen, sehr spezifischen Bereich von Fähigkeiten. Andere, selbst eng verwandte Gebiete bleiben dagegen meist unberührt. „Das ist auch der Grund, warum in der Schule oft die Hälfte der Schüler versagt, wenn sie eine Aufgabe erhalten, die sich nur ein wenig vo dem unterschiedet, ws zuvor gelehrt wurde“, erklärt Bavalier.

Trainingseffekt durch Unberechenbarkeit

Nach Ansicht der Wissenschaftlerin könnte der ungewöhliche Trainingseffekt der Ego-Shooter damit zusammenhängen, dass es in diesen Spielen meist keine klaren „Antworten“ gibt. Sie sind per se unberechenbar. „Im Gegensatz zu Standardparadigmen des Lernens, die eine hochspezifische Lösung haben, gibt es in einem Actionspiel keine solche spezifischen Lösungen, denn die Spielsituationen werden selten, wenn überhaupt wiederholt“, so Bavalier. „Das einzige, was gelernt werden kann ist daher, schnell und akkurat Chancen einzuschätzen und Informationen über die Situation immer effektiver zu akkumulieren.“

Strategie- und Rollenspiele wirken nicht

Leider scheint dieser Trainingseffekt nur bei Ego-Shootern aufzutreten. Strategie- oder Rollenspiele wirken nicht, wie die Wissenschafler herausfanden. Dafür muss man diese Spiele auch nicht mögen, um davon zu profitieren, auch widerwillig spielen wirkt: Nicht-Spieler, die im Rahmen des Versuchs 50 Stunden lang solche „Ballerspiele“ absolvieren mussten, verbesserten dadurch ebenfalls ihre Entscheidungsfähigkeit. Warum das Ganze funktioniert und was dabei genau im Gehirn passiert, das ist allerdings zurzeit noch unklar.

(Cell Press, 14.09.2010 – NPO)

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