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Biologie

11. September 2001: Wut statt Trauer bei den Amerikanern

Forscher rekonstruieren minutengenauen Verlauf von Emotionen nach den Terroranschlägen

Die Terroranschläge am 11. September 2001 unter anderem auf das World Trade Center in New York lösten unter der amerikanischen Bevölkerung weniger Trauer und Angst aus, sondern im Verlauf des Tages zunehmend Ärger und Wut. Dies geht aus einer neuen Studie hervor, für die Mainzer Psychologen über 570.000 Texte von US-Funkmeldern analysiert haben.

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„Die Ergebnisse haben uns sehr überrascht“, so Mitja Back und Albrecht Küfner von der Abteilung Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik der Universität Mainz in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift „Psychological Science“. „Wir hatten vermutet, dass sich diese Tragödie in einer massiven Trauer- oder Angstreaktion äußert. Was wir jedoch fanden, war ein kontinuierlicher Anstieg von Ärger und Wut über die Zeit.“

573.000 Datensätze mit 6,4 Millionen Wörtern untersucht

Mit Hilfe automatischer Textanalysen suchten die Wissenschaftler nach Emotionswörtern wie Traurigkeit, Weinen, Kummer, Angst oder Hass, die in den Meldungen vorkamen. Back, Küfner konnten zusammen mit Boris Egloff in ihrer Studie auf Daten zurückgreifen, die am 25. November 2009 auf der Internet-Plattform WikiLeaks anonym und frei zugänglich veröffentlicht wurden.

Sie decken 24 Stunden von drei Uhr morgens bis drei Uhr nachts des nächsten Tages ab und umfassen insgesamt 573.000 Datensätze mit 6,4 Millionen Wörtern, die von über 85.000 unterschiedlichen Pagern – in Deutschland auch Funkmelder oder Pieper genannt – in den USA versandt worden sind. Die Daten ergeben einen minutengenauen Verlauf des emotionalen Befindens Tausender US-Bürger.

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Wut statt Trauer

Die Auswertung zeigte den Wissenschaftlern zufolge, dass die Menschen nicht in erster Linie mit Trauer auf die Terroranschläge reagierten. Es gab jedoch einige Angstausbrüche, die mit dem Einschlag der Flugzeuge in das World Trade Center und das Pentagon, dem Einsturz der Türme und den ersten Informationen über den terroristischen Hintergrund der Anschläge einhergingen – sich danach aber schnell wieder abschwächten. „Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die Medien weitere Hintergrundinformationen verbreitet haben, die die Unsicherheit und damit die Angst verringerten“, so Back.

Das Gefühl von Wut hingegen war nach Angaben der Wissenschaftler von Anfang an, bereits beim Einschlag des ersten Flugzeugs in das World Trade Center, vorhanden und nahm mit den fortlaufenden Informationen über den terroristischen Hintergrund stetig zu. Am Ende des Tages war der Ausdruck von Wut und Ärger fast zehn Mal so hoch wie zu Beginn.

Weitreichende Konsequenzen für jeden Einzelnen – und die Gesellschaft

Die Studie gibt damit einen ersten Einblick, welche Ursachen zu den weitreichenden Konsequenzen führten, die der 11. September zur Folge hatte – angefangen von vermehrter Diskriminierung über die Konfrontationspolitik der Bush-Ära bis hin zur Beschneidung von Bürgerrechten.

„Da Wut und Ärger Empörung und den Wunsch nach Rache hervorrufen, bekommen wir jetzt eine erste Idee davon, was in den Menschen in Amerika unmittelbar nach den Anschlägen vorgegangen ist“, sagt Küfner.

(idw – Universität Mainz, 10.09.2010 – DLO)

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