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Bildung

Bildung: Deutschland hinkt hinterher

OECD-Studie fordert mehr Anstrengungen um dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken

Trotz steigender Absolventenzahlen an den Hochschulen liegt Deutschland bei den Bildungsausgaben im Schlussfeld der OECD-Staaten, nämlich auf Rang 23 unter 27 Staaten. Das ist das Ergebnis der gestern vorgestellten Studie „Bildung auf einen Blick 2010“ und einer Länderstudie zur beruflichen Bildung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

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Angesichts der demografischen Entwicklung muss Deutschland danach mehr tun, um die Voraussetzungen für längere Erwerbszeiten zu schaffen und um dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Mehr ist zu wenig

Insgesamt ist in Deutschland, wie in fast allen anderen OECD-Ländern, in den vergangenen Jahren die Zahl der jährlichen Hoch- und Fachhochschulabsolventen zwischen 2000 und 2008 deutlich gewachsen. Hierzulande stieg sie um mehr als ein Drittel, auf jetzt 260.000 pro Jahr. Der Anteil der Hoch- und Fachhochschulabsolventen am typischen Abschlussjahrgang erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 18 auf 25 Prozent (einschließlich internationale Studierende).

Im OECD-Mittel verlief diese Entwicklung jedoch dynamischer und auf einem höheren Niveau: hier wuchs der Anteil der Hochqualifizierten am typischen Abschlussjahrgang im gleichen Zeitraum von 28 auf 38 Prozent. Trotz einer Zunahme bei Studienanfängern und Absolventen, bleibt Deutschland in der OECD nach der Türkei, Belgien und Mexiko das Land mit der geringsten Studierneigung.

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Mangel an Hochqualifizierten

Sehr viel deutlicher sind die Unterschiede zwischen Deutschland und den übrigen OECD-Ländern, wenn man die demografische Entwicklung hinzunimmt und das gesamte Potential an Hochqualifizierten betrachtet, aus dem die Wirtschaft ihren Bedarf an Fachkräften decken kann. So ist in Deutschland zwischen 1998 und 2008 die Zahl der Erwerbsfähigen mit so genannter tertiärer Ausbildung jährlich um durchschnittlich 0,9 Prozent gewachsen. Im OECD-Mittel stieg das Potenzial an Hochqualifizierten im gleichen Zeitraum dagegen um 4,6 Prozent pro Jahr.

Selbst in Japan, neben Deutschland das einzige OECD-Land, in dem die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in den vergangenen Jahren gesunken ist, stieg zwischen 1998 und 2008 die absolute Zahl der Hochqualifizierten, aus dem die Wirtschaft schöpfen kann, um jährlich 3,1 Prozent.

Entsprechend haben laut OECD in den vergangenen Jahren die wirtschaftlichen Vorteile einer tertiären Bildung in Deutschland weiter zugenommen. So verdienten Hochqualifizierte 2008 im Schnitt 67 Prozent mehr als Erwerbstätige, die nur über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. 2007 lag dieser Einkommensvorsprung bei 62 Prozent, seit 1998 hat er sich mehr als verdoppelt. Hinzu kommen ein nach wie vor deutlich geringeres Risiko von Arbeitslosigkeit und weit höhere Erwerbsquoten bei den Älteren. So waren etwas 2009 von den 60 bis 65-Jährigen mit tertiärer Ausbildung 56 Prozent erwerbstätig. Bei den 60 bis 65-Jährigen mit nur einer beruflichen Ausbildung dagegen nur 36 Prozent.

Kindern aus einkommensschwachen Familien Studium ermöglichen

„Die Anstrengungen der Politik sollten sich darauf konzentrieren, Studienberechtigten aus einkommensschwachen oder bildungsfernen Familien und Studierwilligen mit beruflichen Qualifikationen den Weg in das Studium zu ebnen. Kredite oder Stipendien, die das finanzielle Risiko eines Studiums reduzieren, wären ein sinnvoller Schritt“, sagte der Leiter des OECD Berlin Centre Heino von Meyer. Gleichzeitig sollten die Hochschulen mehr Angebote machen, die mit einer Berufstätigkeit vereinbar sind.

Weiteres Potenzial zur Deckung des steigenden Bedarfs an Hochqualifizierten bieten internationale Studierende, die für einen Teil ihrer Ausbildung nach Deutschland kommen. So liegt in Deutschland der Anteil dieser Gruppe, die ihren Hochschulzugang im Ausland erworben hat, bei 9,3 Prozent und damit deutlich über dem OECD-Mittel von 6,8 Prozent. Rund Zweidrittel dieser Studierenden kommen aus Ländern außerhalb der OECD – vor allem Osteuropa und Asien. Ihnen könnte mit einem Abschluss in Deutschland eine vergleichsweise reibungslose Integration in den deutschen Arbeitsmarkt gelingen.

Auch für die öffentliche Hand ergeben sich aus Investitionen in Bildung erheblich Renditen. So summieren sich bei Absolventen einer tertiären Ausbildung die zusätzlichen Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben sowie die geringeren Ausgaben durch Arbeitslosigkeit auf das Viereinhalb-fache der Kosten, die durch die Finanzierung des Studiums und Einnahmeausfälle durch kürzere Erwerbszeiten entstehen. Insgesamt ist mit rund 155.000 Euro in keinem anderen der 20 OECD-Länder, für die diese Daten vorliegen, die öffentliche Rendite aus einer tertiären Ausbildung höher als in Deutschland.

Bildungsausgaben auf niedrigem Niveau

Die gesamten öffentlichen und privaten Ausgaben für Bildungseinrichtungen lagen in Deutschland 2007 nach internationaler Abgrenzung bei 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, mit in den letzten Jahren rückläufiger Tendenz. Unter den OECD-Ländern, für die diese Zahlen vorliegen, gaben nur die Slowakei, Tschechien und Italien einen geringeren Anteil der Wirtschaftsleistung für Bildung aus. Bei den Spitzenreitern USA, Korea und Dänemark liegt der Anteil der Bildungsausgaben bei über sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Pro Schüler bzw. Studierenden bewegten sich die Ausgaben in Deutschland 2007 kaufkraftbereinigt etwa im OECD-Schnitt. Im Primarbereich liegen die Ausgaben leicht unter dem OECD-Schnitt, in der tertiären Ausbildung leicht darüber. Zwischen 2000 und 2007 sind in fast allen OECD-Ländern die Ausgaben pro Schüler im Primar- und Sekundarbereich gestiegen, teilweise sehr deutlich. In der tertiären Ausbildung sind im gleichen Zeitraum die Ausgaben pro Studierenden in etwa der Hälfte der OECD-Länder gestiegen. In Deutschland haben sich in beiden Bereichen die Ausgaben dagegen kaum verändert.

„OECD-Bildungsstudie sollte den Ländern zu denken geben“

„Der Wert akademisch ausgebildeter junger Menschen für die wirtschaftliche Zukunft des Landes wurde in Deutschland zu lange unterschätzt“, kommentierte die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Margret Wintermantel, die Ergebnisse der OECD-Studie. „Die OECD-Studie zeigt, dass die Hochschulbildung sich für die Absolventinnen und Absolventen in Form eines höheren Lebenseinkommens positiv auswirkt und dass die gesamte Gesellschaft durch mittelfristig deutlich höhere Steuereinnahmen und geringere Ausgaben für Arbeitslosigkeit profitiert.“

Und weiter: „Dank der Initiative des Bundes wurde der Qualitätspakt für die Hochschulen geschlossen. Dieses Instrument kann helfen, in den kommenden Jahren mehr junge Menschen zu einem Hochschulabschluss zu führen. Allerdings regiert in einigen Bundesländern gleichzeitig schon wieder der Rotstift. Kluge Investoren aber stecken jetzt mehr Geld in die Hochschulbildung, um in einigen Jahren den Ertrag zu ernten. Die OECD-Studie sollte den Ländern zu denken geben!“

Berufliche Bildung leistungsfähig

In ihrer ersten umfassenden Länderstudie zur beruflichen Bildung in Deutschland kommt die OECD dagegen insgesamt zu einem positiven Ergebnis. Das System verbindet Lernen im Betrieb und in der Schule, wird mit großem Engagement von den Sozialpartnern getragen und genießt in der Gesellschaft ein hohes Ansehen. „Die berufliche Bildung in Deutschland leistet einen wesentlichen Beitrag zur Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt und ist ein entscheidender Faktor für die im internationalen Vergleich geringe Jugendarbeitslosigkeit“, sagte OECD-Expertin Kathrin Höckel bei der Präsentation der Studie.

Berufsschule verfestigt Basisqualifikationen

Dennoch fehlt bei der nach wie vor erheblichen Zahl von Jugendlichen, die statt einer beruflichen Ausbildung an Maßnahmen im so genannten Übergangssystem teilnehmen, bislang ausreichende Instrumente, um auf Defizite bei grundlegenden Kompetenzen reagieren. Die Initiative der Bundesregierung zu einer besseren Koordinierung der bestehenden Maßnahmen ist sinnvoll. Insgesamt sollten aber mehr Anstrengungen unternommen werden, um die Jungendlichen fit für die reguläre berufliche Ausbildung zu machen.

Darüber hinaus sollte im Rahmen der Dualen Ausbildung den Leistungen in der Berufsschule eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. In der Berufsschule werden häufig Basisqualifikationen verfestigt, die über die Fähigkeit zur Weiterqualifikation und damit über die berufliche Flexibilität und die langfristigen Erwerbschancen der Arbeitnehmer entscheiden. Ein wichtiger Schritt hierzu wäre, wenn die Leistungen an der Berufsschule durch ein gemeinsames Zeugnis mit der Kammerprüfung aufgewertet würden.

Die Öffnung der Hoch- und Fachhochschulen für Absolventen der beruflichen Bildung auch ohne Abitur war der OECD-Studie zufolge ein sinnvoller Schritt. Allerdings nehmen nur weniger als ein Prozent der beruflich Qualifizierten ohne Abitur ein Studium an einer Universität auf (Fachhochschulen: 1,8 Prozent). Die hohen Abbrecherquoten bei dieser Gruppe und der insgesamt geringe Anteil an Menschen, die mit Mitte bis Ende 30 noch ein Studium beginnen, legen zudem nahe, dass neben dem formalen Zugang der Studierfähigkeit und geeigneten Rahmenbedingungen an den Hochschulen mehr Beachtung geschenkt werden muss.

(OECD / idw – Hochschulrektorenkonferenz (HRK), 08.09.2010 – DLO)

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