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Neurobiologie

Depression: Forscher finden „Euphorie-Schaltktreis“

Verschaltungen verbinden Depressions-Areale mit Vorderhirnstrang

Ein internationales Forscherteam hat eine mögliche Zielstruktur zur Behandlung von Depressionen identifiziert. Mit Hilfe einer speziellen Tomografie-Methode fanden sie heraus, dass vier vermeintlich völlig getrennte Hirnbereiche über Verschaltungen mit dem so genannten „Euphorie-Schaltkreis“ verbunden sind. Dieser spielt bei Tieren eine große Rolle für das Wohlgefühl, wie die Forscher jetzt in der Fachzeitschrift „Neuropsychopharmacology“ berichten.

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Bis vor gut zwanzig Jahren behandelten Ärzte Depressionen als Mittel der letzten Wahl auch chirurgisch. Dabei zerstörten sie gezielt bestimmte Regionen im Gehirn ihrer Patienten, kaum größer als ein Zehn-Cent-Stück. Diese Operationen waren nicht ohne Risiko, erzielten zum Teil aber beachtliche Erfolge: In bis zu 70 Prozent der Fälle verbesserte sich das Befinden der Betroffenen deutlich. Bis Ende der 80er Jahre hatten die Depressionsforscher vier Areale identifiziert, deren Zerstörung besonders positive Effekte zeigte. Diese Areale liegen in völlig unterschiedlichen Regionen des Gehirns.

Bisher ging man davon aus, dass die vier klassischen Operationsorte unterschiedliche Funktionen bei der Verarbeitung von Emotionen übernehmen. „Wie Hirnareale miteinander verbunden sind, ließ sich in der Vergangenheit nur mit großem Aufwand sichtbar machen“, erklärt Professor Bernd Weber. „Im Prinzip ging das nur an Hirnschnitten von Verstorbenen.“ Dank einer neuen Methode ist das nun erheblich einfacher: Mit modernen Kernspin-Tomographen kann man feststellen, in welche Richtungen das Wasser im Gewebe diffundiert. Nervenstränge sind für die Gewebsflüssigkeit ein undurchdringliches Hindernis: Sie kann lediglich daran entlang fließen.

Wasser verrät Verdrahtung

Wissenschaftler der Universitäten Bonn, Washington State und British Columbia konnten damit nun zeigen, dass alle vier Areale einen gemeinsamen Nenner haben. „Diese gerichteten Wasserströme werden im Tomographie-Bild sichtbar“, erklärt der Experte für Neuronale Bildgebung. Gut 50 gesunde Probanden haben die Forscher mit dieser Methode untersucht. Für jeden einzelnen haben sie in virtuellen Hirnoperationen am Computer simuliert, wie die vier klassischen OP-Regionen zusammen hängen.

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Es zeigt sich, dass das mediale Vorderhirnbündel die verschiedenen Hirnbereiche miteinander verbindet, die bei der Depression eine Rolle spielen. Sie alle sind mit einer bestimmten Struktur verbunden, dem medialen Vorderhirnbündel. Dabei handelt es sich um eine Art Kabelstrang, der sich vom tief liegenden Hirnstamm bis zur stirnseitigen Hirnrinde zieht. „Dieser Euphorie-Schaltkreis ist daher möglicherweise eine interessante Zielstruktur für die Behandlung der Erkrankung“, erklärt der Neurochirurg Professor Volker Coenen.

„Euphorie-Schaltkreis“ schon lange bekannt

Dass eine Stimulation des medialen Vorderhirnbündels für gute Gefühle sorgt, ist schon lange bekannt: Bereits 1954 hatten die Psychologen James Olds und Peter Milner entsprechende Versuche mit Ratten durchgeführt. Dabei hatten sie den Tieren Elektroden in das Vorderhirnbündel implantiert, die diese per Tastendruck selbst elektrisch reizen konnten. Das taten sie denn auch – und fühlten sich dabei so wohl, dass sie darüber sogar zu fressen vergaßen. Ihre Experimente machten Olds und Milner berühmt. Die Rolle des medialen Vorderhirnbündels bei der Verarbeitung von Emotionen beim Menschen wurde jedoch nie näher untersucht.

Zielstruktur für den Hirnschrittmacher

Die Kenntnis dieser Verschaltung könnte zukünftig auch eine Therapie durch Tiefe Hirnstimulation verbessern. Über ein kleines Loch im Schädel werden dabei Elektroden punktgenau in fehlgesteuerte Hirnregionen gepflanzt. Diese lassen sich dann mit einer Art „Hirnschrittmacher“ durch schwache elektrische Impulse reizen. Die Methode wird unter anderem bei Parkinson-Patienten eingesetzt, kommt seit einigen Jahren aber auch bei der Therapie schwerster Depressionen zum Einsatz. „Über das mediale Vorderhirnbündel könnten wir eventuell verschiedenste Hirnregionen gleichzeitig stimulieren und so die Symptome einer Depression mildern“, hofft Coenen.

(Universität Bonn, 27.08.2010 – NPO)

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