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Ökologie

Tödliches Eigentor: Raupenfraß lockt Feinde an

Grüner Duft wird Tabakschwärmer-Raupen zum Verhängnis

Eine frisch geschlüpfte Raupe des amerikanischen Tabakschwärmers (Manduca sexta) wird von einer Raubwanze der Gattung Geocoris attackiert. © Matthey Film

Die Raupen des Tabakschwärmers leben in einem Dilemma: Beim Fressen wandeln sie ungewollt und schlagartig pflanzliche Inhaltsstoffe in Locksignale für ihre ärgsten Fressfeinde, die Raubwanzen, um. Auslöser für diesen Prozess ist, wie Forscher jetzt in „Science“ berichten, ein Enzym in ihrem Verdauungssekret. Andererseits jedoch brauchen die Raupen dieses Sekret, da es sie vor bakteriellen Infektionen schützt.

Pflanzen haben ein ausgeklügeltes Verteidigungssystem. Sie sind in der Lage, sich nicht nur direkt gegen Fraßfeinde zu wehren, indem sie Giftstoffe produzieren, sondern auch indirekt. Sie geben spezielle duftende Moleküle in die Atmosphäre ab, die von insektenfressenden Schlupfwespen oder Raubwanzen wahrgenommen werden; diese fliegen dann zur attackierten Pflanze und fressen oder parasitieren deren Schädling – zum Überlebensvorteil der Pflanze. Fast alle Pflanzen schalten einige ihrer Verteidigungslinien erst ein, wenn tatsächlich eine Raupe an ihnen frisst.Wie aber erkennt die Pflanze den Schädling?

Spurensuche beim „grünen Duft“

„Sehen kann sie ihre Angreifer nicht, aber diese könnten sich durch verdauungsfördernde Substanzen verraten, die üblicherweise in ihren Mundsekreten enthalten sind und die beim Fressen mit den Blättern in Berührung kommen“, so Silke Allmann, vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie. Sie und ihre Kollegen suchen gezielt in Pflanzen nach Substanzen, Signalketten und Stoffwechselwegen für diesen Verteidigungsfall. Kürzlich wurden die Wissenschaftler auf Inhaltsstoffe des wilden Tabaks aufmerksam, die als „green leaf volatiles“ bezeichnet werden. Grüne Tabakblätter geben diese Verbindungen nach Verwundung ab.

Verdauungssekret fressender Raupen fördert Lockstoffproduktion

Bei der näheren Analyse dieser Duftstoffe fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Menge eines bestimmten grünen Duftstoffes, des (E)-2-Hexenals, schnell zunahm, nachdem von Tabakschwärmerraupen gewonnenes Verdauungssekret auf verwundete Blätter aufgetragen wurde. Der Aldehyd Hexenal kommt in der Tabakpflanze in zwei isomeren Formen vor: (Z)-3-Hexenal und (E)-2-Hexenal. „Wir vermuteten, dass das vermehrte Auftreten von (E)-2-Hexenal einen Lockstoff für Raubwanzen darstellen könnte. Wir entdecken diese Wanzen nämlich immer dann, wenn auf Tabakblättern Tabakschwärmerraupen aus den Motteneiern schlüpfen und zu fressen beginnen“, sagt Ian Baldwin.

Versuchsaufbau im Freiland: Auf der Unterseite eines Tabakblattes befinden sich Eier, eine junge Raupe und eine gerade gelandete Raubwanze. © MPI chemische Ökologie / Danny Kessler

Um diese Vermutung zu erhärten, klebten die Wissenschaftler Eier auf Blätter von im Freiland wachsenden Tabakpflanzen und trugen direkt daneben verschiedene Duftsignal-Mixturen mittels Wattestäbchen auf. Nach zwölf und 24 Stunden wurde das Schicksal der Eier ermittelt. Das Ergebnis: Vornehmlich mit dem „Z-Köder“ parfümierte Pflanzen zeigten nur geringen Verlust der ausgelegten Eier, während knapp ein Viertel der Eier auf den „E-Köder“-Pflanzen von Raubwanzen der Gattung Geocoris vertilgt worden waren.

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Enzym löst schnelle Umwandlung aus

Auffallend war die schnelle Reaktionszeit nach Auslösen des Verteidigungsfalles: In weniger als einer Stunde war die Umwandlung der Moleküle von Z nach E vollzogen und in weniger als 24 Stunden waren Raub und Vertilgen der Eier vollbracht. In weiteren Versuchen fanden die Forscher heraus dass es sich bei dem verräterischen Sekret vermutlich um ein Enzym, eine isomerase, handeln muss, die das Z:E Verhältnis in Richtung (E)-2-Hexenal verschiebt.

„Andere indirekte Verteidigungsmaßnahmen von Pflanzen, die erst einmal neue Stoffwechselwege in Betrieb setzen müssen, bevor sie überhaupt Duftsignale bilden und aussenden können, sind bedeutend langsamer“, erklärt Ian Baldwin. Bildung und Abgabe des (E)-2-Hexenal- Duftsignals erfolgen derart schnell, dass suchend umherfliegende Wanzen ausreichende „chemische“ Information über den genauen Aufenthaltsort ihrer auf dem Blatt fressenden Beute bekommen. Genau diese durch das Duftsignal verratene Ortsangabe ihres Fraßfeindes ist es, die den chemischen Alarmruf für die Pflanze so effektiv macht.

Gratwanderung zwischen Bakterienschutz und Fraßfeindgefahr

Ein Frage bleibt jedoch noch unbeantwortet: Warum enthält das Mundsekret der Tabakschwärmerraupen eine Substanz, die ihnen letztlich zum tödlichen Verhängnis wird, sobald sie an Tabakblättern nagen? Allmann und Ian Baldwin vermuten, dass die Bildung von (E)-2-Hexenal die Raupen vielleicht vor anderen Angreifern schützen kann, beispielsweise vor bakteriellen Infektionen. Schädliche Mikroorganismen, zahlreich und jeden Tag mit der Blattnahrung aufgenommen, könnten durch das (E)-2-Hexenal schnell und effektiv getötet werden, denn dieser Stoff ist als ein stark antibiotisches Mittel bekannt.

Damit ergäbe sich eine existenzielle Gratwanderung für die Raupen: Einerseits laufen sie durch die Abgabe von (E)-2-Hexenal Gefahr, von Wanzen verheerend attackiert zu werden, andererseits aber garantiert das Vorhandensein von (E)-2-Hexenal eine gesunde, nicht durch Bakterien kontaminierte Nahrung. Der eigentliche Gewinner dieser Nahrungskette ist jedoch die Raubwanze, weil sie unbeschadet und satt aus dem Rennen hervorgeht – dank ihrer sensiblen Antennen, mit denen sie das (E)-2-Hexenal schon in kleinsten Mengen riechen kann.

(Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, 27.08.2010 – NPO)

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