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Biologie

Verhaltensstörungen werden vererbt

Wirkt ein Trauma über Generationen?

Traumatische Erlebnisse während der Kindheit oder der Jugend können verschiedene Verhaltensstörungen hervorrufen. Eine neue Studie eines Züricher Forschungsteams hat nun gezeigt, dass diese Verhaltensauffälligkeiten auch an die Nachkommen vererbt werden können – zumindest bei Mäusen.

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Traumatische Erlebnisse wie Vernachlässigung, körperliche Gewalt oder sexueller Missbrauch während der Kindheit können einen Menschen und sein Verhalten ein ganzes Leben lang prägen. Aus Erfahrung wusste man, dass selbst die Nachkommen unter den Folgen der Traumatisierung leiden können.

In einer Studie, die soeben in der Fachzeitschrift „Biological Psychiatry“ erschienen ist, konnte ein Forscherteam der Universität Zürich und der ETH Zürich bei Mäusen zeigen, dass Verhaltensauffälligkeiten, die bei einer Traumatisierung entstehen, auch an die folgenden Generationen vererbt werden können.

Traumatisierte Mäuse verhalten sich anders

Für ihre Studie trennte die Forscherin Isabelle Mansuy junge Mäuse nach der Geburt während 14 Tagen wiederholt und zu nicht vorhersehbaren Zeitpunkten von ihrem Muttertier. Dieses Tiermodell wird zur Nachahmung von Kindesvernachlässigung und traumatischer Kindheitserlebnisse verwendet.

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Die jungen Mäuse waren denn auch so stark gestresst, dass sie deutliche Verhaltensänderungen im Erwachsenenalter zeigten. Sie wiesen ähnliche Verhaltensmuster wie depressive Menschen auf, hatten ihre Impulse nicht im Griff, wurden unter bestimmten Umständen aggressiv oder apathisch und hatten soziale Probleme. Insbesondere konnten diese Tiere auf neue oder widrige Umstände nicht angemessen reagieren, so die Wissenschaftler.

Werden zum Beispiel Mäuse am Schwanz aufgehoben, wehren sie sich lebhaft – was durchaus sinnvoll ist, um im besten Fall einer Katze noch entkommen zu können. Traumatisierte Mäuse dagegen bewegen sich kaum und wirken teilnahmslos. Auch zeigen sich markante Unterschiede in der Impulskontrolle: Mäuse, die unter natürlichen Bedingungen aufwuchsen, erkunden ein neues Terrain vorsichtig und schrittweise, gepaart mit einer natürlichen Neugier. Traumatisierte Mäuse hingegen stürmen ohne Ziel los und kennen offenbar weder Angst noch Umsicht.

Verhaltensveränderungen werden weiter gegeben

Überraschendes Resultat der Studie ist, dass die Tiere ihre Verhaltensstörungen an ihre Nachkommen vererben. Die Forscher konnten gar nachweisen, dass diese Schädigungen bis in die dritte Nachfolge-Generation andauern. Dies ist allerdings nicht auf eine Mutation der Erbsubstanz zurückzuführen.

Der Stress, so zeigen die Forscher auf, verändert das Methylierungs-Profil bestimmter Gene im Gehirn und in den Spermien männlicher Mäuse. An bestimmten Genen wird eine Methylgruppe, die aus einem Kohlenstoff und drei Wasserstoff-Atomen besteht, angehängt. Dies ändert an den DNA-Bausteinen direkt nichts, aber die Aktivität der betroffenen Gene wird beeinflusst. Zum Beispiel können wichtige Körperfunktionen, wie etwa Nervenfunktionen betroffen sein.

Bisher haben die Wissenschaftler bei Mäusen fünf Gene identifiziert, die aufgrund früher Stresserlebnisse von einer Methylierungen betroffen sind. Nicht alle gefundenen Gene werden jedoch gleich stark beeinflusst. „Es kommt sehr darauf an, wo und wie die Methylgruppen angebracht werden“, erklärt Mansuy. An einigen Genen werden mehr Methylgruppen angehängt, an anderen wiederum werden sie übermäßig entfernt.

Ähnliche Symptome bei Borderline- und Depression-Patienten

Dass solche Verhaltensinformationen epigenetisch – das heißt ohne eine Veränderung der DNA-Sequenz – weitergegeben werden, wurde schon lange vermutet. Das Team von Mansuy ist aber das erste, das dies nun auf molekularer Ebene in mehreren Generationen nachweisen konnte.

Die Forscher sind sogar bereits einen Schritt weitergegangen und haben in Kollaboration mit Roche weitere Gene identifiziert, die epigenetisch gesteuert werden und mit Verhaltensstörungen in Verbindung stehen. „Die Symptome, welche die gestörten Mäuse zeigten, sind auch in Borderline- und Depressions-Patienten sehr prominent vorhanden“, sagt Mansuy. Die Resultate aus dem Mäuseversuch seien deshalb auf Menschen zumindest bedingt übertragbar.

Methylierungen auch in menschlichem Gewebe?

Die Wissenschaftlerin denkt nun daran, die Untersuchung dieses epigenetischen Phänomens auf Menschen auszudehnen. Dazu braucht sie Gewebeproben von Personen und ihren Nachkommen, um mögliche Methylisierungskandidaten unter den Genen herauszufinden. „Ich bin überzeugt, dass wir Methylierungen auch in menschlichem Gewebe finden werden“, so die Professorin.

(ETH Zürich, 20.08.2010 – DLO)

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