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Physik

Supraleiter: Verschwinden von Elektronen widerspricht Theorie

Plötzliche Verringerung der Leitungselektronen am quantenkritischen Punkt

Dieses Gerät misst bei sehr tiefen Temperaturen, wie die Zahl der Ladungsträger mit einem äußeren Magnetfeld ändert. Die Vorrichtung, die von oben ins Bild ragt, kühlt die Probe auf einige Tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt. Die Probe lassen die Forscher letztlich in den zylinderförmigen Aluminium-Topf hinab, der auf dem Bild von einem Deckel verschlossen ist. Der Topf sitzt auf einem drehbaren Podest, mit dem die Forscher die Lage der Probe im Magnetfeld verändern. © MPI für Chemische Physik fester Stoffe

Nahe dem absoluten Nullpunkt hat ein internationales Forscherteam in einer Ytterbium-Verbindung einen schlagartigen Wechsel der Eigenschaften entdeckt. Plötzlich verschwinden die Leitungselektronen und der bis dahin bestehende so genannte „Kondo-Effekt“ bricht zusammen. Diese abrupte Änderung widerspricht der gängigen Theorie und liefert Anhaltspunkte für eine Erklärung der Supraleitung bei relativ hohen Temperaturen, wie die Forscher in der Fachzeitschrift “Proceedings of the National Academy of Sciences” (PNAS) berichten.

Wenn Physiker systematisch nach Materialien mit interessanten Eigenschaften suchen wollen, brauchen sie eine belastbare Theorie als Wegweiser – etwa wenn es um Materialien geht, die schon bei sommerlichen Temperaturen verlustfrei Strom leiten. „Die gängige Theorie, mit denen wir solche Phänomene bislang beschreiben, stimmt offenbar nicht für alle Stoffe“, sagt Steffen Wirth. Der Wissenschaftler und seine Kollegen am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden waren maßgeblich an Experimenten beteiligt, die besonders deutlich die Schwachpunkte der Theorie aufzeigen und gleichzeitig Anhaltspunkte für eine neue Theorie liefern.

Gemeinsam mit Stefan Kirchner am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme, Qimiao Si von der Rice University im US-amerikanischen Houston und Silke Bühler-Paschen von der TU Wien haben die Forscher eine Verbindung aus Ytterbium, Rhodium und Silicium untersucht, die Chemiker mit der Formel YbRh2Si2 bezeichnen. Gemessen haben sie, wie sich die Zahl der Leitungselektronen, die Strom transportieren, mit einem äußeren Magnetfeld ändert, und zwar bei Temperaturen, die weniger als ein Grad über dem absoluten Nullpunkt von minus 273,16 Grad Celsius.

Stromleitung dank „Kondo-Effekt“

Bei Temperaturen knapp über diesem Punkt tritt in dem Material der so genannte Kondo-Effekt auf. Er bewirkt, dass sich so genannte f-Elektronen im Inneren der Ytterbium-Atome, die diese Atome zu winzigen Stabmagneten machen, mit jenen Elektronen vermischen, die den elektrischen Strom leiten. Das hat zum einen zur Folge, dass die Stabmagneten nach außen hin abgeschirmt werden und sich in dem Material keine magnetische Ordnung ausbildet – die Physiker nennen diesen Zustand paramagnetisch. Zum anderen erlaubt die elektronische Mischung aber auch, dass die f-Elektronen der Ytterbium-Atome nun zur Stromleitung beitragen.

Schlagartige Entmischung

Nähern sich die Physiker nun aber dem am absoluten Nullpunkt postulierten quantenkritischen Punkt an, indem sie das angelegte Magnetfeld verändern, bricht der Kondo-Effekt zusammen: Die unterschiedlichen Elektronen entmischen sich, so dass der Magnetismus wieder zum Vorschein kommt und die Stabmagnete sich abwechselnd in entgegen gesetzte Richtungen ausrichten. Da sich die Mischung der Elektronen wieder trennt, sinkt zudem die Zahl der Leitungselektronen, und zwar schlagartig.

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Was in der Verbindung aus Ytterbium, Rhodium und Silicium passiert, lässt sich vielleicht mit einer völlig unwahrscheinlichen Szene in einer Fußgängerzone veranschaulichen. Nahe des absoluten Nullpunkts der Temperatur verhalten sich die Elektronen in dem Material nämlich so, als würden bei einem Regenschauer alle Menschen ohne Schirm augenblicklich aus dem Passantenstrom verschwinden und an den Tischen in den umliegenden Cafés sitzen. „Diese plötzliche Änderung in der elektronischen Struktur haben wir jetzt erstmals eindeutig nachgewiesen“, sagt Sven Friedemann, der die Experimente am Dresdner Max-Planck-Institut vorgenommen hat.

Widerspruch zur gängigen Theorie

„Unsere Experimente belegen sehr klar, dass der Kondo-Effekt zusammenbricht.“ Die gängige Theorie sieht vor, dass der Kondo-Effekt am quantenkritischen Punkt bestehen bleibt und lediglich von einem anderen Phänomen überlagert wird. Diese Theorie sagt aber voraus, dass sich die Zahl der Leitungselektronen nur sehr allmählich ändert. Da sie stattdessen sprunghaft sinkt, kann das bisherige Modell nicht zutreffen. Zudem passt die mathematische Beschreibung, wie der scharfe Bruch des Kondo-Effektes mit steigender Temperatur auseinander fließt, nicht zu der alten Theorie.

Denn die Dresdner Physiker haben festgestellt, dass die Breite des Übergangs linear, also in Form einer Geraden und nicht in Form einer Parabel, zunimmt. Diese lineare Form stimmt dagegen mit den theoretischen Vorstellungen überein, deren Grundzüge unter anderem Qimiao Si und Stefan Kirchner entworfen haben. „Damit geben wir den Theoretikern einen wichtigen Anhaltspunkt, um die Theorie weiter zu entwickeln“, sagt Steffen Wirth. Diese Theorie könnte, wenn sie ausgebaut ist, nicht nur die quantenkritischen Phänomene im YbRh2Si2 erklären, so hoffen die Physiker: Sie soll auch bei der Suche nach Materialien helfen, die elektrischen Strom auch noch ohne Widerstand leiten, wenn manche Klimaanlage ausfällt.

(Max-Planck-Gesellschaft, 16.08.2010 – NPO)

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