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Geowissen

Kippte eine Polverschiebung Gondwana?

Gesteinsmagnetisierung enthüllt ungewöhnlich schnelle Verschiebung der Landmasse im frühen Kambrium

Globale paläogeografische Rekonstruktion der Erde während des frühen Kambriums vor 540 Millionen Jahren. © Dr. Ron Blakey / CC-by-sa 3.0

Vor 525 Millionen Jahren kippte plötzlich der gesamte Südkontinent Gondwana um 60 Grad zur Seite – und dies mit einer in der Erdgeschichte einmaligen Geschwindigkeit. Das enthüllt eine jetzt in „Geology“ veröffentlichte Studie amerikanischer Geologen. Ihrer Ansicht nach könnte eine Polverschiebung, die plötzliche Verlagerung der gesamten festen Erdhülle verursacht haben. Sollte sich dies bestätigen, wäre es der erste Beweis für die Existenz dieses bisher umstrittenen Phänomens. In jedem Fall aber hatte die Drehung schwerwiegende Auswirkungen für die sich zu diesem Zeitpunkt explosionsartig entwickelnde Lebenswelt.

Vor etwa 540 Millionen Jahren, im frühen Kambrium, explodierte die Artenvielfalt der Erde förmlich: Die ersten Mehrzeller entwickelten sich innerhalb kürzester Zeit zu vielen verschiedenartigen Tier- und Pflanzengruppen und schufen so die Basis vieler noch heute erhaltener Baupläne der Lebensformen. In dieser Zeit bildeten fast alle Kontinente eine große Landmasse um den Südpol herum, den Südkontinent Gondwana. Er erstreckte sich teilweise bis zum Äquator der Erde und darüber hinaus. Nur Teile des heutigen Nordamerika, Sibirien und Nordeuropa bildeten drei kleinere, von Gondwana getrennte Kontinente.

Jetzt hat ein Team von Geologen der amerikanischen Yale Universität aufgedeckt, dass just in jener Zeit die gesamte Landmasse Gondwanas eine dramatische Veränderung durchmachte. Sie könnte auch die Entwicklung des Lebens entscheidend beeinflusst haben. Die Forscher stießen darauf, als sie die Magnetisierung von Gesteinen aus dieser Ära im Amadeusbecken in Zentralaustralien untersuchten. Wenn Gestein an die Oberfläche kommt und dort erstarrt, konservieren metallische Partikel in ihm die gerade an diesen Ort herrschende Richtung der Magnetfeldlinien.

Drehung des gesamten Riesenkontinents

Im Falle der Amadeusbecken-Gesteine, die zur Zeit des frühen Kambrium erstarrten, entdeckten die Geologen Erstaunliches: Die Magnetisierung änderte sich vor rund 525 Millionen Jahren innerhalb kürzester Zeit um 60 Grad. Demnach muss der gesamte Kontinent Gondwana, in dessen Landmasse diese Gesteine früher lagen, sich damals plötzlich um 60° gedreht haben. Weiterführende Messungen enthüllten, dass diese Rotation mit einer Geschwindigkeit von 16 Zentimentern pro Jahr, möglicherweise sogar noch mehr stattfand – nach geologischen Maßstäben gerade rasend schnell. Die schnellsten Bewegungen der Erdkruste, die heute bekannt sind, liegen bei rund vier Zentimetern pro Jahr.

Plötzliche Verschiebung © Ross Mitchell/Yale University

Was war die Ursache?

Aber was löste diese plötzliche Verschiebung aus? Nach Ansicht von Ross Mitchell, dem Hauptautor der Studie, kommen dafür prinzipiell zwei Mechanismen in Betracht: Zum einen die „normale“ Plattentektonik, die durch Konvektionsströmungen im Erdmantel angetriebene Bewegung der Kontinentalplatten gegeneinander. Zum anderen aber eine Polverschiebung, ein plötzlicher Prozess, bei dem die gesamte feste Schicht der Erde bis hinunter an die Kern-Mantelgrenze sich gegenüber dem flüssigen Inneren und damit auch gegenüber der Rotationsachse der Erde verschiebt.

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Erster Beleg für eine Polverschiebung?

Ob es in der Erdgeschichte solche Polverschiebungen gegeben hat, darüber wird seit Jahrzehnten intensiv diskutiert. Belege dafür fehlten jedoch bisher. Nach Ansicht von Mitchell und seinen Kollegen könnte aber ihre jüngste Beobachtung durchaus für eine solche Polverschiebung im frühen Kambrium sprechen. Denn die Geschwindigkeit, mit der sich Gondwana damals verschob, übertrifft sämtliche für die Plattentektonik ermittelten Werte der letzten hunderte von Millionen Jahre bei weitem. „Wenn wirklich eine echte Polverschiebung diese Drehung verursachte, ergibt das einen Sinn“, so Mitchell. „Wenn die Rotation auf Plattentektonik zurückzuführen war, müssen wir mit ziemlich neuen Erklärungen aufwarten.“

Dramatische Folgen für Klima und Umwelt

Was auch immer die Ursache war, in jedem Falle hatte diese gewaltige Rotation der gesamten Gondwana-Landmasse schwerwiegende Folgen. So verschob sich beispielsweise das Gebiet des heutigen Brasilien von den Tropen bis fast direkt an den Südpol und auch in vielen anderen Regionen muss sich das Klima dadurch stark verändert haben. Auch andere Umweltfaktoren wie die Kohlendioxidgehalte der Luft und die Meeresspiegel könnten durch diese Verschiebung beeinflusst worden sein, so Mitchell.

„Während des frühen Kambriums gab es dramatische Veränderungen der Umweltbedingungen, direkt in der Zeit, als Gondwana diese massive Verschiebung erlebte“, erklärt Mitchell. „Unabhängig von unseren Vorstellungen zur Plattentektonik und Polverschiebung, könnte dies damals gewaltige Auswirkungen auf die kambrische Explosion des Tier- und Pflanzenlebens gehabt haben.“

(Yale University, 12.08.2010 – NPO)

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