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Medizin

Körpereigenes Protein hilft gegen Rückenschmerzen

Nebenwirkungsfreie Alternative zum Kortison erforscht

Einen völlig neuen Ansatz in der Behandlung von Rückenschmerzen hat eine Wissenschaftlerin der Ruhr-Universität Bochum untersucht: Sie spritzte den vom Schmerz geplagten Patienten ein körpereigenes, entzündungshemmendes Protein (Orthokin) direkt an die betroffene Nervenwurzel. Das Ergebnis: Im Vergleich zur Standardtherapie mit Kortison wirkte die nebenwirkungsfreie Orthokinbehandlung genauso gut und darüber hinaus wesentlich länger. „Wir vermuten, dass der körpereigene Stoff zur Selbstheilung beiträgt“, so Dr. Cordelia Becker, „denn diese gute Wirkung über mehr als sechs Monate ist in der Regel durch eine Medikamentengabe nicht zu erzielen.“

Die Tücken des Kortisons

Wenn Rücken und Beine wegen eines eingeklemmten und entzündeten Nervs in der Lendenwirbelsäule weh tun, kommt es vor allem darauf an, den Schmerz zu lindern: „Nur dann kann sich die Muskulatur entspannen, und vorgefallene Bandscheiben haben eine Chance, sich selbst wieder zurückzuziehen“, erläutert Dr. Becker. Die bisherige Standardtherapie mit Kortison hat allerdings ihre Tücken: Zwar lindert sie den Schmerz und unterdrückt die Entzündung, aber die Wirkung hält durchschnittlich nicht länger als sechs Wochen an. Wiederholt man die Gabe von Kortison zu häufig, kann es unter Umständen zu schwerwiegenden Nebenwirkungen kommen: Hitzewallungen und ein rotes Gesicht (Flush) gehören noch zu den harmloseren, darüber hinaus wird das Immunsystem geschwächt, es kann zu Osteoporose und Wassereinlagerungen ins Bindegewebe kommen, bei Diabetikern verschlechtern sich die Blutzuckerwerte.

Eigenes Blut produziert Orthokin

Der Einsatz von Orthokin ist in der Behandlung von Arthrose seit Jahren erprobt und ruft keine Nebenwirkungen hervor. Bei dem von dem Düsseldorfer Orthopäden Prof. Dr. med. Peter Wehling und dem Molekularbiologen Dr. Julio Reinecke entwickelten Verfahren wird das Protein aus dem Blut des Patienten gewonnen. Die Ärzte gewinnen das körpereigene Protein, indem sie dem Patienten mit einer speziellen Spritze Blut abnehmen, in der Glaskügelchen mit einer speziellen Oberfläche eine Wunde simulieren. Dies regt die Blutzellen zur Orthokinproduktion an, das nach 24 Stunden in ausreichender Menge aus der Spritze entnommen werden kann.

Vergleichende Studie mit drei Patientengruppen

84 Patienten schloss Dr. Becker in ihre Studie ein, die sie in einem eigenen Raum in der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dr. Lauber, Dr. Platzek, Dr. Heidersdorf in Hattingen durchführte. Alle Teilnehmer wurden zunächst gründlich untersucht, unterzogen sich einer Kernspintomografie und füllten verschiedene Fragebögen aus, mit denen sich Schmerzintensität, Funktionseinschränkungen, psychologische Faktoren und Lebensqualität messen lassen. Weder der behandelnde Arzt noch der Patient erfuhren dann, welchen Inhalt die Spritze enthielt, die unter Röntgenkontrolle direkt an die entzündete Nervenwurzel gesetzt wurde: Eine Gruppe wurde mit 10 mg Kortison, die zweite mit 5 mg Kortison und die dritte mit Orthokin behandelt.

Jeder Patient kam dreimal im Abstand von je einer Woche in die Praxis, wurde befragt und bekam eine Injektion. Eine, zwei, sechs Wochen, drei und sechs Monate nach der ersten Injektion wurden dann alle Teilnehmer der Studie erneut befragt und nachuntersucht. Während dieser Zeit bekamen sie weder eine andere Therapie, wie z.B. andere Injektionen oder physikalische Anwendungen, noch Schmerzmittel. Einzige Ausnahme war das Schmerzmittel Ibuprofen, das bei Bedarf und nur unter strenger Dokumentation genommen werden durfte.

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Nebenwirkungsfrei und länger wirksam

Die Ergebnisse: In den ersten sechs Wochen ließ sich zwischen den Therapieformen kein Unterschied in der Schmerzreduktion nachweisen. Alle befragten Patienten gaben eine deutliche Linderung ihrer Schmerzen an: Zwischen 70 und 80 Prozent der Teilnehmer gaben ihre Schmerzintensität mit unter 50 auf der sog. Visuellen Analogskala (VAS) von 0 (schmerzfrei) bis 100 (stärkster vorstellbarer Schmerz) an. Interessanterweise machte es auch keinen Unterschied, ob man 5 mg oder 10 mg Kortison verabreichte. Es traten keine gravierenden Nebenwirkungen auf, die auf die Substanzgabe zurückzuführen waren. „Insgesamt drei Patienten hatten nach der Injektionen starke Kopfschmerzen, unabhängig von der Medikamentengruppe. Diese Beschwerden sind allerdings eine seltene, aber bekannte mögliche Nebenwirkung des Injektionsverfahrens“, erläutert Dr. Becker.

Weitere Schmerzreduktion nach sechs Monaten

Zum fünften Untersuchungstermin, drei Monate nach der ersten Injektion, war das Bild nicht mehr so einheitlich: Die Patienten, welche drei Injektionen mit Orthokin erhalten hatten, gaben eine weitere Schmerzreduktion an, während die anderen beiden Patientengruppen bereits wieder über verstärkte Schmerzen klagten. Der positive Effekt war in der Orthokingruppe auch sechs Monate nach der ersten Injektion noch zu beobachten: 81,3 Prozent der Patienten gaben unter 50 auf der Schmerzskala an, die Hälfte von ihnen war beschwerdefrei (unter 10). Bei den Kortisongruppen gaben je rund 70 Prozent einen Wert unter 50 an, und je ca. ein Drittel von ihnen waren beschwerdefrei. „Diese Ergebnisse sind für Fachkreise wie Patienten von großem Interesse, denn wir konnten erstmals nachweisen, dass es eine wirksame, sehr gut verträgliche Alternative zu Kortison gibt“, zieht Dr. Becker Bilanz.

(Ruhr-Universität Bochum, 15.07.2004 – NPO)

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