Erstmals haben Wissenschaftler Belege dafür gefunden, dass Parasiten bei verschiedenen Säugetierarten gleiche Anpassungsprozesse auslösen können. Sie verglichen zwei Lemurenarten im Kirindy-Regenwald auf Madagaskar und analysierten die Verbindungsstellen zwischen ihren Immungenen und den Antigenen der Parasiten. Ergebnis: Diese passen wie Schlüssel und Schloss zueinander und sind bei beiden Lemurenarten völlig identisch.
„Damit haben wir gezeigt, dass der Selektionsdruck durch Parasiten sehr mächtig ist. In zwei unterschiedlichen Arten hat sich letztlich dasselbe Prinzip bei der Immunabwehr durchgesetzt“, erläutert Professorin Simone Sommer vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Die Evolutionsgenetikerin hatte gemeinsam mit Nina Schwensow vom IZW und Kollegen aus Hamburg, Göttingen und Ulm die Immungene der Lemuren untersucht und statistisch ausgewertet. Wie dieser Abwehrmechanismus funktioniert, konnten die Wissenschaftler damit zum ersten Mal detailliert aufzeigen.
Darmparasiten der Tiere identifiziert
In Vorgängerstudien sammelten die Forscher vom IZW bereits Erkenntnisse über den Immunkomplex – major histocompatibility complex oder MHC – der Lemuren. Dazu haben sie die Darmparasiten der Tiere bestimmt und deren Assoziation mit den Merkmalsausprägungen der Immungene verglichen.
So stellten die Wissenschaftler fest, welches Allel für die Erkennung eines bestimmten Antigens einer Parasitenart zuständig ist. Allele sind verschiedene Ausprägungen eines einzelnen Gens, die sich manchmal nur geringfügig unterscheiden. Die Genetiker untersuchten deshalb die genauen Aminosäuresequenzen der Immunallele.
Ascaris-Würmer waren am häufigsten
„Mit einem statistischen Ansatz haben wir uns nun alle neun gefundenen Parasitenarten und die dazugehörenden Immunallele einzeln angeschaut, und zwar sowohl für den Grauen Mausmaki Microcebus murinus als auch den Mittleren Fettschwanzmaki Cheirogaleus medius“, so Schwensow. Besonders häufig kamen Parasiten der Fadenwurmgattung Ascaris vor. Zu dieser Gattung gehören unter anderem der Pferde- und der Schweinespulwurm.
„Wir haben dann die beiden Allele, die mit einer Ascaris-Infektion assoziiert waren, verglichen und festgestellt, dass sie bei beiden Arten sehr ähnlich sind.“, erklärt Schwensow weiter. Beide Immunallele sind an einer vermutlich entscheidenden Stelle sogar völlig identisch. Die Sequenzabfolge der Aminosäuren, aus denen die Allele bestehen, besitzt eine Art Andockstelle für das Parasitenantigen. Beide Lemurenarten
weisen an dieser Bindungsstelle die gleiche Aminosäurensequenz auf, beide haben also das exakt passende Schloss für den Schlüssel.
Die Bindungsstelle für das Ascaris-Antigen unterscheidet sich wiederum von allen anderen untersuchten Allelen – Schlüssel und Schloss sind einzigartig. „Bei sympatrischen Arten, also Arten die im selben Habitat leben, bringt die natürliche Selektion also genau die gleichen Andockstellen in den Immunallelen hervor“, fasst Sommer die Analysen zusammen.
Parasit übt Selektionsdruck auf Wirt aus
Die Ergebnisse der neuen Studie entsprechen den Erwartungen der Evolutionsgenetiker. Sie haben nun erstmals einen Hinweis auf die Funktionsweise des Selektionsdrucks, den der Parasit auf den Wirt ausübt, gefunden. In dieser detaillierten Form haben die Forscher auf Madagaskar jedoch nur den Zusammenhang für den Ascaris-Parasiten nachgewiesen. Dieser ist einer der wichtigsten und häufigsten Parasitenarten auch beim Menschen. Im Prinzip verhält es sich bei anderen Arten ebenso wie bei dem untersuchten Beispiel, ist sich Sommer sicher.
„Erwarten würde ich dies für alle Parasiten. Wir planen, ähnliche Zusammenhänge in naher Zukunft auch bei anderen Arten auszutesten.“ Dafür müsse jedoch ein größerer Aufwand getrieben werden, da andere Parasitenarten seltener anzutreffen sind und demnach eine deutlich größere Stichprobe nötig ist.
Nachaktiv und gleiche Feinde
Die Population beider Lemurenarten ist im Kirindy-Regenwald auf Madagaskar sehr groß. Die circa 15 bis 30 Zentimeter großen Lemuren teilen sich ihr Habitat und haben ein vergleichbares ökologisches Verhalten. Sie sind nachaktiv, haben die gleichen Feinde, nehmen ähnliche Nahrung zu sich und ähneln sich auch hinsichtlich Größe und Gestalt.
Da der Kirindy-Regenwald eine der letzten großen unberührten Regenwaldflächen ist, sind die Selektionsprozesse fast vollständig natürlich. In fragmentierten Habitaten, wie in anderen Teilen der Insel, wären diese Prozesse anders zu bewerten.
(idw – Forschungsverbund Berlin, 09.07.2010 – DLO)