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Genetik

Läuse-Genom entschlüsselt

Blutsaugender Parasit hat extrem reduziertes Erbgut

Kleiderlaus Pediculus humanus humanus © CDC / Frank Collins

Sie überträgt Krankheiten und saugt unser Blut: die Kleiderlaus. Jetzt hat ein internationales Forscherteam erstmals das Genom des unbeliebten Parasiten entschlüsselt. Es zeigt sich unter anderem, dass das Erbgut zu den kleinsten und reduziertesten im Insektenreich gehört. Der Gencode gibt wertvolle Einblicke in die Biologie und Entwicklung der Insekten aber auch in die Koevolution wichtiger, von der Laus übertragener Krankheitserreger. Die Studie, in deren Rahmen auch ein Symbiont der Laus sequenziert wurde, ist jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) erschienen.

Dank ihrer Anhänglichkeit und Anpassungsfähigkeit hat die Kleiderlaus Pediculus humanus humanus uns Menschen über Millionen von Jahren hinweg begleitet. Der blutsaugende Parasit übertrug bei Napoleons Russlandfeldzug 1812 das „Schützengraben-Fieber”, löste Fleckfieber-Epidemien aus und war in Zeiten schlechterer Hygiene nahezu überall und bei jedem zuhause. Die enge Verwandte der Kopflaus lebt in Kleidung, die eng am Körper anliegt und ernährt sich von menschlichem Blut.

Erbgut sehr reduziert

Jetzt hat ein internationales Forscherteam erstmals das Genom dieses “altgedienten” Parasiten entschlüsselt. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass das Erbgut der Laus zu den kleinsten unter den Insekten gehört. Nach Ansicht von Barry Pittendrigh, Professor für Entomologie der Universität Pittsburgh und einer der Kooordinatoren des Projekts, hängt dies vermutlich mit ihrer parasitischen Lebensweise zusammen. „Die Ökologie der Laus ist sehr, sehr einfach“, so der Forscher. „Sie lebt entweder in unserem Haar oder in unserer Kleidung und hat nur eine Art von Mahlzeit: Blut. Daher sind die meisten Gene, die für die Wahrnehmung und die Reaktion auf die Umwelt verantwortlich sind, sehr reduziert.“

Tatsächlich stellten die Genanalysen beispielsweise nur sehr wenige Gene für lichtsensitive Rezeptoren fest. Auch die Gene für Geschmacks- und Geruchssensoren sind deutlich gegenüber anderen Insekten reduziert. Die Wissenschaftler stellten zudem fest, dass die Laus die kleinste Anzahl von Genen für Entgiftungsenzyme besitzt, die jemals in einem Insekt beobachtet wurden. Das macht den Parasiten unter anderem zu einem attraktiven Modell für die Erforschung von Resistenzentwicklung gegenüber Insektiziden.

Bakterium als Symbiont

Und noch eine Besonderheit stellte sich heraus: Die Kleiderlaus ist für ihr Überleben nicht nur völlig vom Menschen, ihrem Hauptwirt, abhängig. Genauso unverzichtbar ist für sie auch ein Mikroorganismus, mit dem sie in Symbiose lebt: das Bakterium Riesia pediculicola. Als die Forscher das Erbgut dieses Bakteriums analysierten, stießen sie unter anderem auf Gene für die Produktion Nährstoffs Pantothenat (Vitamin B5). Er ist für die Laus essenziell, für seine Herstellung ist sie jedoch komplett auf das Bakterium abgewiesen. Interessanterweise ist auch das Genom des Bakteriums im Vergleich zu seinen engsten „freilebenden“ Verwandten sehr reduziert und klein.

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Aufschluss über Koevolution von Krankheitserregern

Das gleiche gilt für das Erbgut einiger der Krankheitserreger, die die Kleiderlaus auf den Menschen überträgt, wie beispielsweise den Fleckfiebererreger, Rickettsia prowazekii, oder den Erreger des Wechselfiebers, Borrelia recurrentis. Für Mediziner liefert das Genom der Laus und ihrer Mitbewohner daher wertvolle Hinweise auf die Koevolution von Überträger und Erreger, und auch über die Entwicklung und Ausbreitung bestimmter Krankheiten.

„Läuse haben schon früher dazu gedient, die Evolution und Wanderungsbewegungen des Menschen nachzuvollziehen“, erklärt Pittendrigh. „Sie wurden beispielsweise für Schätzungen herangezogen, ab wann der Mensch Kleidung trug.“ Durch die Entschlüsselung seines Genoms kann dieser enge Begleiter des Menschen nun noch mehr Aufschluss über die gemeinsame Evolution geben.

Einblick in Metamorphose-Entwicklung

Aber nicht nur im Verhältnis zum Menschen, auch im Hinblick auf ihre Insektenverwandtschaft gibt das Lausgenom neue Einblicke: „Über seine Bedeutung im Zusammenhang mit der menschlichen Gesundheit hinaus ist das Kleiderlaus-Genom auch von großer Wichtigkeit für das Verständnis der Insektenevolution”, erklärt May Berenbaum, Professorin für Entomologie an der Universität von Illinois. „Es ist bisher erst das zweite Erbgut eines Insekts mit einer graduellen Entwicklung – die Laus durchlebt keinen grundsätzlichen anatomischen und ökologischen Wandel wenn sie von der Larve zur Adulten reift.“

Im Gegensatz dazu machen die meisten höher entwickelten Insekten, wie beispielsweise Fliegen oder Schmetterlinge eine komplette Metamorphose über ein Puppenstadium durch. Während dieser Ruheperiode findet im Inneren der Puppe ein kompletter Umbau des Körpers und Stoffwechsels statt. Da die Kleiderlaus noch den älteren Mechanismus einer allmählichen Annäherung an das Erwachsenenaussehen besitzt, liefert ihr Genom wertvolle Hinweise zur Evolution der Metamorphose.

(University of Illinois at Urbana-Champaign, 23.06.2010 – NPO)

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