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Geowissen

Ostalpen sind immer noch in Bewegung

Neue Erkenntnisse zur Geologie zwischen Innsbruck und Wiener Becken vorgelegt

Zerbrochene Sinterplatte: Bernhard Graseman und Lukas Plan haben in der Hirschgrubenhöhle in der Steiermark den geologischen Beweis für tektonische Aktivität in den Ostalpen gefunden: Eine durch die aktive Störung zerbrochene Sinterplatte sowie umgestürzte Tropfsteine. © L. Plan

Die Ostalpen sind immer noch in Bewegung. Eine 400 Kilometer lange Störungszone – die so genannte SEMP-Störung – zwischen Innsbruck und dem Wiener Becken ist tektonisch nach wie vor aktiv. Den geologischen Beweis dafür haben österreichische Geologen jetzt in der Hirschgrubenhöhle in der Steiermark gefunden. Sie berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Geology“.

„Ich entdeckte vor ein paar Jahren in einer Höhle am Hochschwab in der Steiermark zufällig 25 Zentimeter lange Kratzer im Sinter“, sagt der Geologe Lukas Plan vom Naturhistorischen Museum in Wien.

Um eine Erklärung für die zerkratzte Höhlenwand zu finden, führte Plan zusammen mit Bernhard Grasemann und Kurt Decker vom Department für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien sowie Kollegen der Universitäten Innsbruck und Bern eine Reihe von Messungen und Untersuchungen durch. Die Ergebnisse der jahrelangen, logistisch sehr aufwändigen Forschungsarbeit lieferten den ersten geologischen Feldbeweis für die so genannte neotektonische Aktivität in den Ostalpen und belegen, dass es in Österreich nach wie vor zu größeren Erdbeben kommen kann.

Harnischflächen, wie diese in der Hirschgrubenhöhle, entstehen bei Erdbeben. Die vertikale Striemung lässt die Bewegungsrichtung erkennen. © L. Plan

Erdbeben vor tausenden Jahren

„Unsere Beobachtungen haben ergeben, dass sich der gesamte Höhlengang um 25 Zentimeter bewegt haben muss“, so Plan. Heruntergefallene Blöcke und Tropfsteine wurden durch die Bewegung der Störung mitgeschleift und haben auf diese Weise die Kratzer bewirkt. Aufgrund wiederholter Sinterablagerungen auf diesen Kratzern konnten die Forscher anhand geochronologischer Methoden den Zeitpunkt der tektonischen Bewegung eingrenzen.

„Im Zeitraum zwischen 118.000 und 9.000 Jahren vor heute wurde die Höhle von einer tektonischen Störung, einer so genannten Blattverschiebung zerschert“, erklärt Grasemann. „Höchstwahrscheinlich war es ein Erdbeben der Stärke sechs, das zu dem Versatz von 25 Zentimetern geführt hat“, fährt Plan fort. Ob es wirklich ein Erdbeben, ein langsames Schieben oder sogar eine Summe von Erdbeben war, werden die Geologen künftig weiter untersuchen.

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Eiszeit hat Erdbebenspuren in den Alpen verwischt

„Der Fund ist vor allem deshalb so interessant, weil es in Österreich keine direkten Zeugen für aktive Störungen an der Erdoberfläche gibt“, betont Grasemann. Die letzte Eiszeit vor rund 115.000 bis 10.000 Jahren hat den Alpenkörper durch eine mächtige Eisbedeckung überformt und somit alle möglichen Spuren verwischt.

Die Eiszeit ist auch der Grund, warum das Zeitintervall, in dem die tektonische Störung angesiedelt wird, so groß ist: „In der 1.900 Meter hoch gelegenen Höhle war zu jener Zeit alles gefroren, weshalb sich auch kein Sinter ablagern konnte. Andernfalls könnten wir die Bewegung auf wenige 100 Jahre einengen“, erklärt Plan.

Nur durch das Abseilen in einen 80 Meter tiefen Schacht ist der von der Störung zerscherte Gang zugänglich. © L. Plan

Nach Osten wandernd

Vor 25 Millionen Jahren begann ein keilförmiger Block südlich dieser Störung Richtung Osten zu wandern. „Da die Störung in der Höhle parallel zu der SEMP-Störung liegt, können wir einerseits belegen, dass unsere Störung Teil der SEMP-Störung ist, und andererseits, dass hier immer noch tektonische Aktivität herrscht“, sagt Plan. GPS-Messungen bestätigen dies: Der Keil – dessen Nordbegrenzung die SEMP-Störung darstellt – bewegt sich um 1,6 Millimeter pro Jahr Richtung Osten.

Geologische Dimensionen

„Unter den Begriff ‚aktive Tektonik‘ fallen alle Bewegungen oder Deformationen von Gestein, die die Menschheit direkt beeinflussen“, definieren die beiden Geologen. Da oftmals tausende Jahre vergehen, bis sich solche Störungen wiederholen bzw. eine Störung Spannung aufbaut, die sich durch ein Erdbeben wieder entlädt, geht man dabei bis zu zwei Millionen Jahre zurück. „Die Störung am Hochschwab war also – geologisch gesehen – erst gestern“, betont Grasemann abschließend.

(idw – Universität Wien, 09.06.2010 – DLO)

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