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Astronomie

Weltraumteleskop enthüllt Geheimnisse der Sternengeburt

Herschel beobachtet sternbildende Wolke RCW 120

Sternbildende Wolke RCW 120 © ESA/PACS/SPIRE/HOBYS Consorti

Die ersten wissenschaftlichen Ergebnisse des Infrarot-Weltraumobservatoriums der ESA, Herschel, enthüllen bislang verborgene Details der Sternentstehung. Neue Bilder zeigen Tausende weit entfernte Galaxien, in denen ungestüme Sternengeburten stattfinden, und prachtvolle sternbildende Staubwolken, die sich über die gesamte Milchstraße hinziehen. Auf einer Aufnahme ist sogar ein „unmöglicher“ Stern während seiner Entwicklung zu sehen.

Die gestern auf einer wissenschaftlichen Fachtagung in der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) präsentierten Ergebnisse stellen frühere Annahmen über Sternengeburten in Frage und ebnen der künftigen Forschung neue Wege.

Herschel ist das größte jemals in den Weltraum gestartete astronomische Teleskop. Der Durchmesser seines Hauptspiegels misst viermal mehr als der jedes vorangegangenen Infrarot-Weltraumteleskops und eineinhalbmal mehr als der von Hubble.

Massive Sterne leben nur kurz

Durch Herschels Beobachtungen der sternbildenden Wolke RCW 120 konnten die Wissenschaftler einen Stern im Embryostadium entdecken, der sich in mehreren Hunderttausend Jahren zu einem der größten und hellsten Sterne unserer Galaxie entwickeln dürfte. Er besitzt bereits jetzt die acht- bis zehnfache Masse der Sonne und ist noch von einer 2.000 Sonnenmassen erreichenden Gas- und Staubwolke umgeben, von der er weiter Materie akkretieren kann.

„Dieser Stern kann nur größer werden“, meint Annie Zavagno vom Labor für Astrophysik in Marseille. Massive Sterne sind selten und kurzlebig. Einen solchen während der Entstehung einzufangen bedeutet die einmalige Chance, ein seit langem bestehendes Paradoxon in der Astronomie zu klären. „Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand ist es eigentlich nicht möglich, dass sich ein Stern bildet, der größer ist als acht Sonnenmassen“, so Zavagno.

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„Unmögliche“ Sterne

Der Grund dafür ist, dass die gewaltigen Lichtstrahlen, die von solch riesigen Sternen ausgesandt werden, ihre Ursprungswolke auflösen sollten, noch bevor sich mehr Masse anhäufen kann. Aber sie bilden sich trotzdem irgendwie. Viele dieser „unmöglichen“ Sterne sind bereits bekannt, einige davon machen bis zu 150 Sonnenmassen aus. Nun, da Herschel einen Stern am Anfang seiner Existenz beobachtet hat, können die Astronomen mit Hilfe der gewonnenen Daten untersuchen, inwiefern er ihren Theorien widerspricht.

Zu Beginn einer Sternengeburt werden die umgebenden Staub- und Gaswolken bis auf ein paar Dutzend Grad über dem absoluten Nullpunkt aufgeheizt und fangen an, Strahlung im fernen Infrarot-Wellenlängenbereich auszusenden. Die Erdatmosphäre blockt den Großteil dieser Wellenlängen vollkommen ab, weshalb Beobachtungen vom Weltraum aus notwendig sind. Mit seiner bisher unerreichten Auflösung und Empfindlichkeit erfasst Herschel die sternbildenden Regionen unserer Galaxie.

Sternengeburt in der Milchstraße © ESA/Hi-GAL Consortium

Stellare Kinderstuben

„Vor Herschel war nicht geklärt, wie sich die Materie in der Milchstraße in hinreichend hoher Dichte und zu den erforderlichen niedrigen Temperaturen zusammenballte, um Sterne zu bilden“, erklärt Sergio Molinari vom Institut für Weltraumphysik in Rom. Ein neues, gestern herausgegebenes Bild von Herschel, das eine Reihe stellarer Kinderstuben in der Milchstraße zeigt, klärt uns darüber auf. Sternembryos erscheinen zunächst im Inneren der Filamente aus glühendem Staub und Gas, die die gesamte Galaxie durchziehen. Die Filamente bilden Ketten von Kinderstuben, die Dutzende Lichtjahre lang sind und die Galaxie in ein Netz von Sternbrutstätten hüllen.

Herschel hat ferner den Weltraum jenseits unserer Galaxie unter die Lupe genommen und das Infrarotlicht tausender anderer Galaxien gemessen, die Milliarden von Lichtjahren entfernt im Universum verteilt sind. Jede Galaxie erscheint nach Angaben der Forscher so klein wie ein Staubkorn; durch ihre Helligkeit können die Astronomen jedoch ihre Sterngeburtenrate bestimmen. In der Regel gilt: je heller die Galaxie desto mehr Sterne bringt sie hervor.

Auch in diesem Fall wurden die bisherigen Kenntnisse durch den von Herschel erbrachten Nachweis, dass sich die Galaxien entlang der kosmischen Zeitskala viel schneller als ursprünglich angenommen entwickelt haben, in Frage gestellt. Die Astronomen waren der Ansicht, dass die Galaxien in den vergangenen drei Milliarden Jahren mit ungefähr derselben Geschwindigkeit Sterne gebildet haben. Herschel widerlegt dies jedoch nun.

Sternengeburt im Sternbild Fuchs © ESA/Hi-GAL Consortium

Neuer Zustand von Wasser entdeckt

In der Vergangenheit gab es zahlreiche Galaxien, in denen wahre Sternausbrüche stattfanden und die Sterne zehn bis 15 Mal schneller entstanden, als heute in der Milchstraße. Was diese frenetische Aktivität auslöste, ist noch nicht ganz klar. „Herschel wird uns nun die Gelegenheit bieten, die Gründe für diese Vorgänge zu untersuchen“, freut sich Steve Eales von der Universität Cardiff im Vereinigten Königreich.

Zudem ist Herschel ein erstklassiges Instrument zur Erfassung der kleinsten Formen der Materie, der Moleküle. Das Teleskop hat zum ersten Mal im Weltraum einen neuen Zustand von Wasser entdeckt. Er ist elektrisch geladen und kommt zum Unterschied von den bekannteren Formen, wie festes Eis, flüssiges Wasser und gasförmiger Dampf, nicht in natürlicher Weise auf der Erde vor.

Wenn in den Geburtswolken, die die jungen Sterne umgeben, ultraviolettes Licht durch das Gas dringt, kann diese Strahlung jedoch ein Elektron aus dem Wassermolekül herausstoßen und dieses mit einer elektrischen Ladung versehen. „Diese Entdeckung ionisierten Wasserdampfs war eine Überraschung“, sagt Arnold Benz von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. „Sie führt uns vor Augen, dass im frühen Geburtsstadium gewaltige Prozesse vor sich gehen, die zu einer in der ganzen Wolke verbreiteten energetischen Strahlung führen.“

Erfolgsgarant Herschel

Von den größten Galaxien bis zu den kleinsten Molekülen – die zahlreichen ersten Ergebnisse von Herschel werden den Wissenschaftlern auf der Fachtagung „ESLAB 2010“ vorgestellt, die diese Woche im Weltraumforschungs- und Technologiezentrum der ESA, ESTEC, in Noordwijk, Niederlande, stattfindet.

„Dies ist erst der Anfang der Mission. In den kommenden Jahren werden wir dank Herschel noch viele weitere wissenschaftliche Erkenntnisse erlangen“, versichert Göran Pilbratt, Herschel-Projektwissenschaftler der ESA.

(ESA, 07.05.2010 – DLO)

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