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Biologie

Schwebepartikel als schwimmende Inseln für Tiefsee-Mikroben

Überraschende Hot Spots mikrobieller Aktivitäten in der Tiefsee entdeckt

Sammelsysteme mit Messsensoren die Temperatur, Salinität, Tiefe, Licht, Trübung und die Zahl der Partikel in der Wassersäule von der Wasseroberfläche bis 7000 m Tiefe aufzeichnen. © Universität Wien

In der Tiefsee gibt es viel mehr Mikroben und mikrobielle Aktivität als bisher angenommen. Statt wie bisher vermutet nur im Sediment des Meeresbodens entdeckten Forscher nun wahre Hotspots der Aktivität auf den winzigen organischen Partikeln, die allmählich von der Wasseroberfläche in die Tiefe regnen. Sie bilden eine Art schwimmendes Biotop für die Mikroben, wie die Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS“ berichten.

Die Tiefenwasser der Ozeane sind uns als Lebensraum von spektakulär geformten, seltsam anmutenden Tieren bekannt. Neben diesen bizarren, vielfach noch unbekannten Lebewesen, gibt es zahllose Mikroorganismen im kalten Tiefenwasser, die mengenmäßig ein Vielfaches an Biomasse der Tiere ausmachen. Sie sind für ihre Ernährung von dem organischen Material abhängig, das in den sonnendurchfluteten obersten 150 Metern des Meerwassers produziert wird und als eine Art Regen nach unten sinkt. Doch der Bedarf an organischem Material, das die heterotrophen Organismen des Tiefwassers benötigen, ist um ein Vielfaches höher als die Menge von Partikeln, die es von der sonnendurchfluteten oberen Wasserschicht in die Tiefsee regnet.

Meeresbiologen der Universität Wien um Gerhard Herndl haben nun dieses scheinbare Paradox näher untersucht und herausgefunden, dass tatsächlich nur rund 30 Prozent des durch Photosynthese gebildeten Materials in Wassertiefen unterhalb von 150 Metern Tiefe gelangt. Mehr kam in ihren Sedimentfallen nicht an.

Wimmelndes Leben auf Schwebeteilchen

Doch die Forscher stießen auf noch etwas anderes: In der Tiefsee gibt es offenbar Schichten mit fragilen Partikeln, die von den herkömmlich verwendeten Sedimentfallen nicht erfasst werden, da diese nicht oder nur kaum sinken. Gleichzeitig schien eine vermehrte Präsenz dieser Teilchen den Sauerstoffgehalt der jeweiligen Wasserschicht deutlich abzusenken. „Dies bedeutet, dass mikrobielle Aktivität an diesen Partikeln für die geringere Sauerstoffkonzentration im Umgebungswasser verantwortlich ist“, erklärt Herndl. „Somit muss unsere generelle Sichtweise des Tiefenwassers als Wasserkörper, in dem Mikroorganismen gleichmäßig und zufällig verteilt sind und in einem nährstoffarmen Milieu leben, revidiert werden.“

Hot Spots mikrobieller Aktivität

Denn offensichtlich bilden diese schwebenden Partikel eine Art Miniaturbiotop für zahllose Mikroben. Die Mikroorganismen besiedeln diese allmählich in die Tiefe sinkenden Partikel und lösen sie teilweise auf, um die gelösten Substanzen aufzunehmen und daraus neue Mikroorganismen zu bilden. „An diesen Partikeln ist die Konzentration an organischen Verbindungen um ein Vielfaches höher als im Umgebungswasser, das heißt es handelt sich dabei um potentielle Nahrungsquellen für heterotrophe Organismen“, so Herndl. „Diese schwebenden Partikel sind Hot Spots mikrobieller Aktivitäten in der Tiefsee.“

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Ursprung der Partikel noch ungeklärt

Die Aktivität dieser Tiefsee-Mikroorganismen bewirkt, dass aus organischem Material anorganische Nährstoffe gebildet werden, die dann wieder vom pflanzlichen Plankton verwendet werden, sobald das Tiefenwasser wieder an die Oberfläche gelangt – wie an den Westseiten der Kontinente. Noch ist allerdings offen, wer genau diese in der Tiefsee schwebenden Partikel produziert. Werden sie vom pflanzlichen Plankton des Oberflächenwassers gebildet oder im Tiefwasser selbst produziert?

Daran forscht Gerhard Herndl nun weiter. Unter anderem soll bei einer für Oktober 2010 geplanten Forschungsfahrt im Atlantik spezielle Probennahme-Systeme zum Einsatz kommen. Damit werden jene Partikel, die bisher nicht gesammelt werden konnten, selektiv aus dem Meerwasser entnommen und analysiert. Der Meeresbiologe hofft, das Rätsel über die Lücke zwischen dem Angebot und dem Bedarf an organischem Material der Tiefseeorganismen zu lösen und meint abschließend: „Diese Diskrepanz im Kohlenstoffbudget der Ozeane deutet darauf hin, dass wichtige Prozesse noch nicht erfasst sind.“

(Universität Wien, 21.04.2010 – NPO)

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