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Biologie

Gen macht Angst

Erhöhte Aktivität des TMEM132D Gens an der Entwicklung der Panikstörung beteiligt

Krankhafte Ängste besitzen meist viele Auslöser, sie können sich aber nur bei entsprechenden biologischen Voraussetzungen entwickeln. Max-Planck-Forscher haben nun gezeigt, dass Patienten mit einer Panikstörung eine so genannte Risikovariante des Gens TMEM132D tragen, das den Bauplan für das Transmembran Protein 132D enthält. Tatsächlich weisen sowohl Personen mit dieser Genvariante als auch krankhaft ängstliche Tiere spezifisch im Gehirn eine erhöhte Aktivität des Gens auf.

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Die Wissenschaftler gehen in der Fachzeitschrift „Molecular Psychiatry“ davon aus, dass erhöhte Mengen des Transmembran Proteins die neuronale Kommunikation zwischen dem Vorderhirn und dem Emotionszentrum verändern und somit das unkontrollierte Angstempfinden bewirken. Mit der Identifikation dieses molekularen Faktors hoffen die Forscher um Florian Holsboer vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie einen neuen therapeutischen Angriffspunkt für zukünftige angstlösende Medikamente entdeckt zu haben.

Extrem empfundene Ängste

Mit extrem empfundenen Ängsten belastet eine Panikstörung die Betroffenen emotional auf unerträgliche Weise. Das Gefühl zu Sterben oder Verrückt zu werden prägt die Empfindung. Zudem erzeugen mehrfach erlebte Panikattacken die Angst vor der Angst. Als Konsequenz scheuen viele Betroffene offene Räume und unkontrollierbare Situationen. Arbeitsunfähigkeit und eine starke soziale Isolation bis hin zum Unvermögen die eigene Wohnung zu verlassen, sind oft die Folge.

Psychotherapeutische Behandlungsmethoden versuchen die Angst vor der Angst zu nehmen. Etwa mit Hilfe von Konfrontationstherapien soll das Gehirn des Panik-Patienten wieder lernen, dass die angstbesetzte Situation das eigene Leben nicht gefährdet. Doch schon den Weg zum Therapeuten oder Arzt können viele Betroffene ohne begleitende medikamentöse Behandlung nicht bewältigen. Gängige angstlösende Präparate können sie allerdings nur über kurze Zeit einnehmen, weil diese Anxiolytika Nebenwirkungen wie Sedierung, Entwicklung von Medikamententoleranz und Absetzprobleme mit sich bringen.

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Neuer Ansatzpunkt für Therapien entdeckt

Forscher des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie haben jetzt möglicherweise einen neuen Ansatzpunkt für Therapien entdeckt, die auf die Ursachen der Erkrankung zielen. Ein Team um Angelika Erhardt wies bei 908 Patienten mit Panikstörung eine Besonderheit im TMEM132D Gen nach. Und auch die entsprechenden Veränderungen auf Molekülebene stellten die Forscher fest.

Als sie nämlich Gewebeproben des Vorderhirns verstorbener Risikovariantenträger untersuchten, beobachteten sie erhöhte Mengen an Transmembran Proteins 132D. Die Wissenschaftler belegten somit, dass die Risikovariante des Gens die Aktivität dieses Erbfaktors unmittelbar funktionell beeinflusst.

Ursache für krankhaftes Angstverhalten gefunden

„In vielen bisherigen genetischen Studien zu psychiatrischen Erkrankungen werden zwar Genveränderungen identifiziert, welche mit den krankhaften Symptomen meist einhergehen“, erklärt Elisabeth Binder. Selten jedoch ließen sich diese mit ursächlichen molekularen Konsequenzen für die Erkrankung in Zusammenhang bringen. „Das ist in unserer Panikstudie anders, die Genveränderung scheint zu einer gesteigerten Menge des TMEM132D Produkts selbst zu führen“, sagt die Wissenschaftlerin: „Das lässt uns hoffen, hier einen ursächlichen Faktor für krankhaftes Angstverhalten gefunden zu haben.“

Zusätzliche Analysen in einem Tiermodell mit genetisch veranlagter erhöhter Angst verdeutlichen, dass die Funktion von TMEM132D für Angstverhalten biologisch konserviert ist. Denn auch Mäuse mit einer Risikovariante des Gens verhalten sich besonders ängstlich. Zudem ist das Gen bei diesen Mäusen ebenfalls im zingulären Kortex, einer zentralen Region zur Verarbeitung von Angst- und Furchtauslösern, besonders aktiv.

Molekulare Funktion von TMEM132D noch unbekannt

Diese Struktur kontrolliert die zentrale Hirnregion für Angstverhalten, die Amygdala, in ihrer Reaktion auf furchtauslösende Faktoren. Die Forscher spekulieren, dass erhöhte TMEM132D Eiweißmengen im Kortex die neuronale Kommunikation mit dem Gefühlszentrum verändern. Dies könnte die überschießende Angstreaktion ermöglichen.

Die genaue molekulare Funktion von TMEM132D ist jedoch noch nicht bekannt, das Gen wird aber in höchster Konzentration in Nervenzellen des Gehirns produziert. Möglicherweise spielt es dort eine zentrale Rolle bei der Etablierung von Nervenverbindungen zwischen dem Gefühlszentrum und der bewussten Kontrollregion. Jedenfalls hoffen die Forscher, mit TMEM132D eine Ursache für die Entwicklung der Panikstörung identifiziert zu haben. Weitere Analysen der molekularen Zusammenhänge sollen nun den Weg zu neuen Therapien ebnen.

(MPG, 12.04.2010 – DLO)

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