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Genetik

Fünfhundert Gene dirigieren den Takt des Herzens

Forscher erstellen erste vollständige Genkarte der Herzfunktion

500 Gene steuern das Herz - bei Fruchtfliege und Mensch. © IMBA

Ein internationales Forscherteam hat erstmals sämtliche Gene identifiziert, die an der Regulation der Herzfunktion beteiligt sind. Die 500 Gene haben sich im Laufe der Evolution von der Fliege über die Maus bis zum Menschen kaum verändert. Die neue Genlandkarte ist dem Fachjournal „Cell“ die Titelgeschichte wert, denn dieses Wissen ist unter anderem eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung dringend benötigter Herzmedikamente.

Pro Jahr sterben tausende Menschen am plötzlichen Herztod. Ohne spürbare vorangegangene Warnzeichen hört ihr Herz einfach auf zu schlagen, nicht selten trifft es scheinbar gesunde, junge Menschen. Ursache ist immer eine Vorerkrankung des Herzens, die aber meist nicht rechtzeitig bemerkt wird. Dazu kommt als Auslöser eine Stresssituation – zum Beispiel sportliche Betätigung – die zu einer Rhythmusstörung führt. Mediziner suchen seit langem nach erkennbaren Risikofaktoren, die Menschen für solche tödlichen Rhythmusstörungen anfällig machen.

Landkarte der Herzfunktion

In jüngster Zeit konnten Molekularbiologen wertvolle Hinweise liefern: Immer wieder fanden sie Gene, die wesentlich an der Herzfunktion beteiligt sind und bei Erkrankungen eine Rolle spielen. Jetzt haben Forscher aus den USA, Kanada, Japan, Österreich, Indien, Italien und Deutschland erstmals eine „Landkarte“ aller an der Herzfunktion beteiligten Gene und ihrer Wechselwirkungen erarbeitet. Die Karte, die an das Streckennetz einer Fluggesellschaft erinnert, ist ein Datenschatz für Herzspezialisten.

„Die Information, die uns nun zur Verfügung steht, wird in zahlreiche weitere Forschungsprojekte einfließen und gibt uns Hinweise, wo wir in Zukunft mit Medikamenten ansetzen könnten“, erklärt Greg Neely vom Institut für Molekulare Biotechnologie der österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA). Die riesige Rechnerleistung, die zu ihrer Erstellung nötig war, lieferte ein Bioinformatik-Team in Bangalore.

500 Gene steuern den Takt

Um an die Gene heranzukommen, bedienten sich die IMBA-Forscher der hauseigenen Taufliegen-Sammlung VDRC (Vienna Drosophila Research Center). Gemeinsam mit dem Fliegen-Herzspezialisten Rolf Bodmer vom Sanford-Burnham Medical Research Institute im kalifornischen La Jolla konnten sie 500 Gene identifizieren, die für das einwandfreie Funktionieren des Fliegenherzens notwendig sind. Wird eines dieser Gene blockiert, so droht dem Tier bei Stress ein schneller Herztod.

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Von den gefundenen Herz-Genen war bisher nur etwa ein Drittel bekannt. Eines der neu identifizierten Gene, NOT-3, wurde von den Forschern genauer unter die Lupe genommen. Blockiert man es, so entwickeln die Fliegen schwere Herzrhythmusstörungen und erweiterte Herzkammern. Beim Menschen ist dieses Krankheitsbild als „dilatative Kardiomyopathie“ bekannt und kann in seltenen Fällen vererbt werden.

Die Karte zeigt die Interaktion aller Herzgene und ihrer Bindungspartner. Für ihre Erstellung wurden rund zwei Millionen Fliegen untersucht © IMBA

Gene bei Fliegen, Mäuse und Menschen kaum verändert

Keiji Kuba von der Akita Universität in Japan konnte die an Fliegen gewonnenen Erkenntnisse auch für Wirbeltiere bestätigen. Blockiert man NOT-3 bei Mäusen, so kommt es ebenfalls zu krankhaften Veränderungen des Herzens und zu Herzstillstand bei Stress. Die eindeutigen Versuchsergebnisse führten die Forscher bald zu der Frage, ob ein ähnlicher Mechanismus auch beim Menschen wirksam ist.

Gemeinsam mit Andrew Hicks und Peter P. Pramstaller vom EURAC-Institut für Genetische Medizin in Bozen, Italien, und Arne Pfeufer vom Institut für Humangenetik am Helmholtz Zentrum in München, alle Teil des QTSCD Konsortiums (QT Interval and Sudden Cardiac Death), gelang der Beweis: Veränderungen in der NOT3-Region korrelieren auch beim Men-schen mit einer erhöhten Anfälligkeit für Herzprobleme. Patienten mit dieser Veranlagung weisen im EKG ein verlängertes QT-Intervall auf. Sie spüren davon nichts, doch bei körperlicher Belastung kann es zu tödlichen Arrhythmien kommen.

Obwohl der Kreislauf bei Fliegen anders funktioniert als beim Menschen sind die Gene, die die Herzfunktion steuern, im Lauf der Evolution also kaum verändert worden. Als Studienobjekte sind Fliegen nahezu unschlagbar. „Unsere Arbeit mit Drosophila hat gezeigt, dass wir auf diese Weise

krankheitsrelevante Gene finden können, die wir bei der Untersuchung an Menschen niemals entdeckt hätten“, erklärt Josef Penninger, Direktor des IMBA. Hunderte Kandidaten-Gene warten nun darauf, auf ihre Beteiligung an Herzerkrankungen überprüft zu werden. In diese Arbeit wird noch viel Forscher-Herzblut fließen.

(IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 06.04.2010 – NPO)

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