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Ökologie

Nur manche Singammern mögen’s heiß

Wie Vögel unterschiedlicher Populationen auf Infektionen reagieren

Nordamerikanische Singammer mit Temperatur messendem Sender. © Kamiel Spoelstra

Das Immunsystem ist das wichtigste System, mit dem sich Vögel oder andere Lebewesen gegen Krankheitserreger verteidigen können. Unklar war jedoch bisher, warum sich unterschiedliche Populationen einer bestimmten Art manchmal in ihrer Immunreaktionen stark unterscheiden. Doch nun sind Forscher bei der Antwort auf diese Frage einen entscheidenden Schritt weitergekommen.

Sie haben in ihrer neuen Studie erstmals Fieber bei einer frei lebenden Wirbeltierart untersucht – der nordamerikanischen Singammer Melospiza melodia. Ergebnis: Begrenzte Ressourcen der Vögel selbst und die Umweltbedingungen bestimmen die Stärke der Immunantwort maßgeblich mit – und damit die Fähigkeit, sich gegen Infektionskrankheiten zu wehren.

Lästiges Fieber?

Für jeden, der an einer Erkältung oder Grippe leidet, ist das auftretende Fieber eine lästige, aber wichtige Begleiterscheinung der Immunreaktion des Körpers bei der Bekämpfung von Krankheitserregern. Studien im Labor, in denen man Immunantworten bei Tieren sehr detailliert beobachten kann, haben gezeigt, dass diese große Unterschiede aufweisen können. Warum verteidigt nicht jeder Organismus seinen Körper auf maximale Weise? Neue immunökologische Theorien vermuten, dass Immunreaktionen kostspielig sind, sie konkurrieren mit anderen Energie raubenden Vorgängen wie Partnerwahl, Territorialverhalten und Fortpflanzung.

Doch jedes Individuum verfügt nur über begrenzte Ressourcen und muss so Kompromisse, so genannte Trade-offs, eingehen. Dies könnte erklären, warum verschieden Arten mit unterschiedlichen Lebensbedingungen auch Variationen in der Immunantwort zeigen.

Laboruntersuchungen können natürliche Bedingungen nur sehr unvollständig simulieren. In Gefangenschaft haben die Tiere unlimitierten Zugang zu Futter, angenehme Raumtemperaturen und keine Raubfeinde. Diese Annehmlichkeiten können dazu führen, dass sie keine oder andere Kompromisse in der Verteilung ihrer internen Energiereserven eingehen müssen.

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Frei lebende Singammern untersucht

Nun ist es Jim Adelman von der Princeton University und Forschern um Michaela Hau und Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell erstmals gelungen, Fieber und krankheitsbedingte Verhaltensänderungen in verschieden Populationen einer frei lebenden nordamerikanischen Vogelart, den Singammern Melospiza melodia, zu messen. Dazu fingen die Wissenschaftler zunächst Individuen von Ammern in Südkalifornien und im nördlichen Staat Washington.

Um die Immunantwort in einer standartisierten Art zu stimulieren, erhielten beide Gruppen anschließend eine kleine Dosis von bakteriellen Zellwänden, die für einen begrenzten Zeitraum von etwa einem Tag eine fiebrige Reaktion hervorruft. Eine Kontrollgruppe blieb unbehandelt. Nach der Injektion wurde den Vögeln ein kleiner etwa 0,5 Gramm schwerer Sender auf der Rückenhaut angebracht, der sowohl die Temperatur als auch die Aktivität des Vogels für über 20 Stunden übermittelte.

Interessanterweise, so die Forscher, zeigten die geimpften Ammern am Tag kaum erhöhte Körpertemperaturen. In der Nacht jedoch, wenn Vögel ihrem natürlichen Biorhythmus folgend ihre Körpertemperatur um drei bis vier Grad senken und ihren Stoffwechsel verringern, zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden Populationen: Kalifornische Ammern wiesen durchgehend eine um mehr als zwei Grad Celsius höhere Körpertemperatur auf als die Tiere der unbehandelten Kontrollgruppe dieser Population. Dagegen war die Temperatur der Vögel der nördlicheren Population höchstens um ein Grad Celsius erhöht, und dies auch nur während der ersten Nachthälfte.

Kurze Brutsaison mitentscheidend

Doch warum ist das so? Die Singammern aus Washington haben nur eine sehr kurze Brutsaison von circa 100 Tagen: Sie müssen deshalb vermutlich alle Ressourcen in die Fortpflanzung stecken. Energie und Zeit in die Immunantwort zu investieren, könnte deshalb nach Ansicht der Forscher den Bruterfolg verringern. Dagegen haben die Ammern im sonnigen Kalifornien mehr Kompensationsmöglichkeiten durch eine längere Brutzeit von 150 Tagen und können damit der Immunreaktion Vorrang geben.

„Die Ergebnisse beweisen uns, dass begrenzte Ressourcen des Organismus und Bedingungen der Umwelt eine große Rolle spielen für die Stärke der Immunantwort und damit der Fähigkeit, sich gegen Infektionskrankheiten zu wehren“, sagt Adelman in der Fachzeitschrift „Functional Ecology“. „Wir konnten ebenfalls mit dieser Untersuchung zeigen, dass Populationen der gleichen Art im Freiland unterschiedliche Immunreaktionen aufweisen.“ Die Studie bedeutet außerdem einen Schritt vorwärts in den Möglichkeiten der Wissenschaftler, Prozesse und Auswirkungen der Immunsysteme mit Hilfe der Radiotelemetrie unter natürlichen Umweltbedingungen zu untersuchen.

(idw – Max-Planck-Institut für Ornithologie, 01.04.2010 – DLO)

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