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Medizin

Wanzenprotein schützt vor Herzinfarkt

Neuer Hemmstoff nach dem Vorbild der Natur

Arterie einer Maus unter dem Mikroskop - 20 Minuten nach einer Gefäßverletzung. Die Blutplättchen wurden mit einem fluoreszierenden Stoff markiert, um sie sichtbar zu machen. In einer unbehandelten Maus entsteht nach der Verletzung ein Blutgerinnsel, das zum vollständigen Verschluss der Arterie führt. © Rudolf-Virchow-Zentrum

Für die Wanze Triatoma infestans ist es überlebenswichtig, dass das Blut nicht gerinnt, während sie es ihrem Wirt abzapft. Das erreicht sie mit Hilfe eines bestimmten Proteins im Mitteldarm. Forscher haben sich diese Technik nun zu Eigen gemacht und aus dem Eiweiß einen Hemmstoff entwickelt, der künftig vor Schlaganfall und Herzinfarkt schützen soll.

Erste Tests der Wissenschaftler um Professor Dr. Bernhard Nieswandt vom Rudolf-Virchow-Zentrum/DFG-Forschungszentrum der Universität Würzburg zeigen: Das Mittel wirkt hervorragend, ohne dabei die wichtige Blutstillung zu beeinträchtigen. Die Forscher berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Online-Ausgabe der Fachzeitschrift „Circulation“.

Gefährliche Durchblutungsstörungen in Arterien

Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall sind das größte Gesundheitsproblem in westlichen Gesellschaften. Eine der häufigsten Ursachen sind Durchblutungsstörungen in Arterien, hervorgerufen durch einen Pfropf im Blutgefäß, einen so genannten Thrombus. Dieser entsteht an beschädigten Gefäßwänden durch die Anlagerung von Blutplättchen und die Aktivierung von Blutgerinnungsfaktoren.

Gelangen die Plättchen an eine beschädigte Stelle, so werden sie von der Gefäßwand aktiviert und verändern ihre Form und Oberflächeneigenschaften so, dass sie sich an der Wand des Blutgefäßes und aneinander festkleben können. Letzteres wird durch die Funktion der Gerinnungsfaktoren noch unterstützt. Der gesamte Mechanismus ist notwendig, um beschädigte Stellen im Gefäß zu flicken und damit unkontrollierten Blutverlust zu vermeiden.

Bildung von Thromben vermeiden

Wird der Blutpfropf jedoch so groß, dass er das Gefäß vollständig verschließt, kann das nachfolgende Gewebe nicht mehr durchblutet werden. Äußerst tragisch ist das im Herzen, dem Gehirn oder der Lunge. Es kommt zum Herzinfarkt, Schlaganfall oder einer Lungenembolie.

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Besonders oft treten solche Probleme bei Kranken auf, die während einer Operation an der Herz-Lungen-Maschine angeschlossen sind. Auch die Behandlung von Schlaganfallpatienten stellt die Ärzte bisher vor ein ungelöstes Problem. In beiden Fällen gilt es, die Bildung von Thromben zu vermeiden beziehungsweise diese aufzulösen, ohne dabei die lebenswichtige gesunde Blutgerinnung zu beeinflussen.

Bisherige Medikamente nicht optimal

Doch alle bisher zur Verfügung stehenden Medikamente wie beispielsweise Aspirin oder Marcumar können zwar das Blut verdünnen und so das Verstopfen der Blutgefäße manchmal verhindern, haben aber ein erhöhtes Blutungsrisiko als Nebenwirkung. Aus diesem Grund sind Forscher bereits seit Jahren auf der Suche nach einem Mittel, das diesen Spagat schafft.

Das Team um Nieswandt hatte bereits 2005 einen großen Schritt in Richtung einer neuen Medikamentengeneration getan. Es identifizierte den Blutgerinnungsfaktor XII, als einen wichtigen Ansatzpunkt zur Entwicklung neuer Mittel. Das Ergebnis der damaligen Studie: Schaltet man in einer Maus das Gen für die Produktion des Proteins Faktor XII, auch Hageman-Faktor genannt, aus, kann man in den Gefäßen dieser Tiere unter Laborbedingungen keinen Blutpfropfen mehr erzeugen. Herzinfarkt und Schlaganfall treten nicht mehr auf. „Kein Faktor XII, kein Herzinfarkt“, lautete das damalige Resultat.

Eine Firma aus Marburg erkannte die Bedeutung des Ergebnisses. Sie machte sich daran, einen Inhibitor, das heißt einen Hemmstoff, gegen das Protein zu entwickeln. Dabei nahm sie sich die Natur zum Vorbild – in diesem Fall die kleine Wanze Triatoma infestans. Diese ist beim Blutsaugen darauf angewiesen, dass das Blut nicht gerinnt. Die Wissenschaftler der Firma kombinierten das aus dem Mitteldarm der Wanze gewonnene Protein Infestin-4 mit einem menschlichen Eiweiß. Heraus kam der neue Wirkstoff rHA-Infestin-4, der nach einem Schlüssel-Schloss-Prinzip den Faktor XII hemmt.

Erste Tests erfolgreich

Mit dem neu entwickelten Inhibitor wandten sich die Forscher wieder an Nieswandt, um zusammen die Wirksamkeit des Stoffs in Mausmodellen zu testen. Das Ergebnis der Untersuchungen war beeindruckend: Während das Medikament auf der einen Seite keinerlei Thrombusbildung mehr zulässt, beeinträchtigt es auf der anderen Seite die Blutstillung in keiner Weise.

„Nach unserem jetzigen Erkenntnisstand, glaube ich, dass es sich bei dem Hemmstoff rHA-Infestin-4 um einen Meilenstein in der Behandlung von Herzinfarkt und Schlaganfall handeln könnte“, so Nieswandt. Nach Abschluss der Untersuchungen am Rudolf-Virchow-Zentrum in Würzburg steht dem Hemmstoff rHA-Infestin-4 nun als nächster Schritt die Untersuchung in einer klinischen Studie bevor.

(idw – Rudolf-Virchow-Zentrum, 23.03.2010 – DLO)

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