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Genetik

Genom von Süßwasserpolypen entschlüsselt

Genetischer Bauplan hilft bei der Erforschung von Gewebebildung und Regeneration

Die Fotografie zeigt einen knospenden Polypen von Hydra magnipapillata. © Melanie Mikosch, Thomas Holstein

Das Genom des Süßwasserpolypen Hydra, und damit eines wichtigen Modellorganismus für Evolutions- und Entwicklungsbiologie, ist von einem internationalen Forschungskonsortium entschlüsselt worden. Die jetzt in „Nature“ veröffentlichte Sequenzierung des genetischen Repertoires eröffnet einen Blick in die Evolution der komplexen Mehrzeller und auch in die gemeinsame Vergangenheit von Mensch und Tier.

Der Süßwasserpolyp Hydra gehört Nesseltieren (Cnidaria), die als einfache Mehrzeller vor mehr als 600 Millionen Jahren entstanden. Mit ihnen ging eine grundlegende Veränderung in der Evolution einher: Erstmals bildeten Tiere komplexere Zellstrukturen aus und waren damit in der Lage, ganz neue Lebensfunktionen wie die Jagd und Verdauung von Nahrung zu etablieren. In den Fokus der biologischen Forschung geriet die Hydra bereits vor über 300 Jahren. Ihre enorme Regenerationsfähigkeit – die Tiere können sich in fünf Tagen vollständig erneuern und damit theoretisch unendlich alt werden – macht die Hydra in der modernen Forschung zu einem weitverbreiteten Modellorganismus.

Kritischer Übergang in der Evolutionsgeschichte

Mit der erstmaligen Sequenzierung des Genoms der Hydra durch ein internationales Team, dem neben Wissenschaftlern aus USA und Japan auch Forscher deutscher und österreichischer Universitäten angehören, erweitern sich die Möglichkeiten für die biologische Forschung enorm. „Wir haben bisher oft im Trüben gefischt“, erklärt Professor Bert Hobmayer vom Institut für Zoologie der Universität Innsbruck. „Nun kennen wir die gesamte Erbinformation und können damit sehr gezielt die Funktion von bestimmten Genen untersuchen und diesen kritischen Übergang in der Evolutionsgeschichte eingehender studieren. Erleichtert wird die Analyse durch eine kürzlich entwickelte Methode zur

Herstellung genetisch veränderter Polypen, mit der spezielle Gene im Labor ganz gezielt eingeschleust und aktiviert werden.“

Genetische „Angriffe“ von außen

Das nun sequenzierte Genom dieses einfachen Organismus ist unerwartet groß und mit einer Zahl von etwa 20.000 Genen annähernd so komplex wie vergleichbare Genome der Wirbeltiere und des Menschen. Jedoch bestehen 57 Prozent davon aus repetitiven Elementen (Transposonen), die ursprünglich von Viren übergesprungen waren. Durch genetische Vergleiche mit verwandten Tierarten entdeckten die Wissenschaftler, dass Hydren in ihrer Entwicklungsgeschichte drei Mal solchen genetischen Angriffen von außen ausgesetzt waren. Zumindest einmal hat dies auch zur Entstehung einer neuen Hydra-Species geführt.

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Gentransfer zwischen Bakterien und Hydren

„Wir gehen daher davon aus, dass derartig dynamische Veränderungen des Genoms einen Einfluss auf die Entwicklung der Arten hatte“, sagt Hobmayer. Die Forscher haben bei der Entschlüsselung des Genoms auch das Erbgut eines Bakteriums mitsequenziert, das offenbar in enger Symbiose mit den Nesseltieren lebt. Die genetische Analyse zeigt, dass es zwischen den beiden Organismen auch zu einem sogenannten horizontalen Gentransfer gekommen sein könnte. „Im Genom der Hydra wurden etwa 70 Gene gefunden, die bislang nur aus Bakterien bekannt sind. Es wird noch zu klären sein, welche davon wirklich von Bakterien stammen und welchen Einfluss diese Gene auf die Biologie der Hydra hatten“, meint der Innsbrucker Entwicklungsbiologe.

Blick an den Ursprung von Tieren und Mensch

Die Ergebnisse der Forschungen zeigen, in welchem Maß das genetische Repertoire zwischen den einfachsten tierischen Formen, höheren Tieren und dem Menschen konserviert ist. Wie die Vertebraten, die Wirbeltiere, besitzt bereits Hydra einen Satz von rund 20.000 Genen. Alle wesentlichen molekularen Schalter für die Bildung der Epithelgewebe, der Muskulatur, der Stammzellen sowie des Nerven- und Immunsystems sind auf der Ebene dieses einfachen Mehrzellers entstanden. Die Entschlüsselung des Hydra-Genoms ist daher ein weiterer Schritt zum Verständnis des molekularen „Werkzeugkastens“, der der Evolution von Tieren und Mensch zugrundeliegt. Die nahezu unbegrenzte Regenerationsfähigkeit und die fehlenden Alterungsprozesse sowie die hohe Konservierung seines Genoms machen Hydra zu einem wichtigen Gegenstand der Forschung, der neue Ansätze für Stammzellbiologie und Biomedizin liefert.

(Universitäten Innsbruck und Heidelberg, 15.03.2010 – NPO)

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