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Ökologie

Pflanzenfresser lieben „hilflose“ Nahrung

„Speisekarte“ wird nicht nach Geschmack zusammengestellt

Empoasca sp. © Max-Planck-Institut für chemische Ökologie; A. Kessler

Pflanzenfresser suchen ihre Nahrung nicht nur danach aus, wie sie „schmeckt“, sondern auch, auf welche Weise sie sich gegen ihre Feinde wehrt.

Pflanzen sind ein wesentlicher Bestandteil von Ökosystemen und Grundlage für die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung. Sie stehen jedoch in einem täglichen Überlebenskampf mit Tausenden von Mikroben- und Insektenarten. Ihre Abwehrstrategien sind äußerst komplex – erst ein detailliertes Verständnis dieser komplexen Wechselwirkungen wird eine wirklich ökologische Landwirtschaft ermöglichen.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena haben jetzt bei Pflanzen des wilden Tabaks einen Signalweg genetisch unterbrochen, der bei Bissschäden verursachte Verteidigungsmechanismen der Pflanzen vermittelt. Bei der Freisetzung der Tabakpflanzen entdeckten die Forscher einen bisher unbekannten Effekt: Die Pflanzen waren durch den Eingriff nicht einfach nur gegenüber ihren traditionellen Fraßfeinden geschwächt, sondern wurden nun auch von bisher gar nicht mit ihnen in Zusammenhang gebrachten Insekten befallen.

Welche Schädlinge eine Pflanzen befallen, hängt also nicht nur davon ab, wie diese ’schmeckt‘ (chemischer Phänotyp), sondern auch, auf welche Weise sich die Pflanze gegen ihre Feinde wehren kann. Diese Forschungsergebnisse zeigen erneut, welchen Wert genetisch veränderte Pflanzen für die Erforschung der sensiblen und äußerst komplexen Gleichgewichte in einem natürlichen Ökosystem haben.

Umweltverträgliche Landwirtschaft

Wissenschaftler sind sich darin einig, dass eine umweltverträglichere Landwirtschaft ein tieferes Verständnis der Interaktionen zwischen Pflanzen, Insekten und Mikroben in einem Ökosystem voraussetzt, und dass genetische Merkmale von Pflanzen, die für die Resistenz gegen Fraßfeinde von Bedeutung sind, sehr komplex erscheinen. Diese Merkmale beziehen sich auf direkte Verteidigungsstrategien, die die Pflanze an sich schützen, wie Toxine oder Stoffe, die ihre Verdaubarkeit im Darm der Insekten reduzieren. Es geht aber auch um indirekte pflanzliche Verteidigungsmechanismen, die sich der biotischen Umgebung bedienen, wie z.B. die Anlockung natürlicher Feinde derjenigen Pflanzenfresser, die die Pflanze gerade befallen. Diese Vielfalt an Merkmalen erschwert es Ökologen außerordentlich herauszufinden, worauf es im wilden Gerangel der freien Natur zwischen den verschiedenen Partnern wirklich ankommt.

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Genetische Veränderung von Pflanzen

Ein angemessenes Werkzeug, um jene genetischen Merkmale zu entschlüsseln und auch beeinflussen zu können, die diese komplexen Interaktionen steuern, ist die genetische Transformation von Pflanzen. Die auf diese Weise veränderten Pflanzen werden gewöhnlich nur unter Laborbedingungen untersucht, wodurch jedoch die Mehrzahl unbekannter biotischer und abiotischer Faktoren in der Natur von der Analyse ausgeschlossen wird. Deshalb müssen gentechnisch veränderte Versuchspflanzen – gerade bei ökologischen Fragestellungen – auch im Freiland untersucht werden. Doch diese wichtige Bedeutung transgener Versuchspflanzen für die Grundlagenforschung in der Ökologie könnte im Zuge der zurzeit polarisierten und ideologisierten Debatte über die Verwendung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen in der Landwirtschaft zum Opfer fallen. Die jetzt von den Jenaer Max-Planck-Wissenschaftlern veröffentlichten Experimente hingegen zeigen einmal mehr, wie wichtig die Verwendung transgener Versuchspflanzen im Freiland für die Gewinnung neuer Erkenntnisse ist.

Signalweg manipuliert

Die Forscher des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie haben ein Pflanzenmerkmal entdeckt, das darauf Einfluss nimmt, welche Fraßfeinde eine Pflanze befallen können. Die Forscher machten diese Entdeckung, nachdem sie verschiedene Komponenten eines Signalweges, der die durch Bissverletzungen induzierte Abwehr in einer Wildpflanze vermittelt, gentechnisch beeinflussten und die transformierten Pflanzen wieder in ihren natürlichen Lebensraum in der Great Basin Wüste in Utah, USA, eingepflanzten.

Konkret haben die Wissenschaftler in Pflanzen der wilden Tabakart Nicotiana attenuata den Gehalt der Enzyme LOX3, HPL und AOS heruntergeregelt. Alle drei Enzyme gehören zum so genannten Oxylipin-Signalweg und spielen eine Schlüsselrolle bei der Wunderkennung und deren Signalwirkung innerhalb der Pflanze. Ihre Funktionsweise bei der Abwehr von Fraßfeinden wurde bislang jedoch nur im Labor untersucht. Bei der Freisetzung in ihren natürlichen Lebensraum waren die Pflanzen, in denen der Gehalt des LOX3-Enzyms vermindert war, gegenüber den an N. attenuata angepassten Herbivoren wie erwartet geschwächt. Doch darüber hinaus wurden zwei neue Arten von Fraßfeinden angelockt, die sich an den veränderten Pflanzen erfolgreich ernährten und fortpflanzten.

Jasmonat-Signalkette entscheidet über Fraßfeinde

Diese Beobachtungen im Freilandversuch zeigen, dass die Jasmonat-Signalkette darüber entscheidet, welche Fraßfeinde sich die Wirtspflanzen als Nahrung auswählen. Es sind also induzierte Verteidigungsmechanismen, die die Zusammensetzung der Herbivoren-Gemeinschaft beeinflussen. Damit kommt ein neuer Aspekt chemischer Abwehrmechanismen von Pflanzen zum Vorschein: Pflanzen, die in ihrem natürlichen Lebensraum wachsen, sind unerbittlich nicht nur von ganz bestimmten, sondern von allen pflanzenfressenden Insekten bedroht. Doch wir nehmen viele dieser potenziellen Angreifer einfach deswegen nicht wahr, weil wir sie normalerweise nicht an der Pflanze fressend vorfinden. Die mithilfe der transgenen Pflanzen gewonnen Ergebnisse zeigen nun, dass einige Herbivorenarten die Pflanzen anscheinend zuerst einmal darauf ‚testen’, ob sie als Nahrung geeignet sind. Reagiert die Pflanze auf diesen Test nicht mit einer chemischen Abwehr, wird sie sofort in die ‚Speisekarte’ dieses Pflanzenfressers aufgenommen.

Fazit: Durch die Beeinflussung einzelner Gene in Wildpflanzen und die Beobachtung dieser Pflanzen in ihrem natürlichen Lebensraum können Wissenschaftler sehr viel über die Herausforderungen lernen, denen Pflanzen in der freien Natur tatsächlich ausgesetzt sind. Transgene Pflanzen ermöglichen es, die genetischen Grundlagen zu erkennen, auf denen Lebensgemeinschaften von Pflanzen, Tieren und Insekten und ganze Ökosysteme basieren. Diese Experimente zeigen zudem den wissenschaftlichen Wert natürlicher Lebensräume an sich. Die Natur war und ist per se das „Labor“ für Naturforscher und Ökologen. „Mit dem verantwortungsvollen Einsatz von gentechnisch veränderten, einheimischen Pflanzen können unsere Kenntnisse über natürliche Lebensräume also erheblich verbessert und wichtige Hinweise zu ihrer Erhaltung gewonnen werden“, sagt Prof. Baldwin vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena.

(idw – MPG, 05.07.2004 – DLO)

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