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Ökologie

Hungernde Hechte „spielen“ Draufgänger

Tiere verändern bei Nahrungsmangel ihre Jagdgewohnheiten

Sowohl "faules" als auch "draufgängerisches" Verhalten kann für Hechte von Vorteil sein © Andreas Hartl

Der Raubfisch Hecht ist in der Lage, bei mangelndem Nahrungsangebot alte Jagdgewohnheiten aufzugeben und neue anzunehmen: Diese überraschende Entdeckung haben Forscher jetzt in einem kleinen Brandenburger See gemacht. Sie beobachteten dort gleich drei sehr unterschiedliche Verhaltenstypen innerhalb einer Hechtpopulation. Dabei führten erstaunlicherweise sowohl „faules“ Verhalten als auch eine „draufgängerische“ Lebensweise zu ähnlichem Körperwachstum der einzelnen Individuen.

Veränderliche Lebensweisen sind demnach ein Schlüsselprinzip, mit dem Fische auf steigende innerartliche Konkurrenz reagieren und so ihr Überleben sichern, so die Forscher in der Fachzeitschrift „Oecologia“.

Faulpelz Hecht

In der Berufswelt gibt es viele Strategien, um zum Ziel zu gelangen. Während sich die einen durch Beständigkeit behaupten, trumpfen andere mit ihrem Charisma auf. Bis jetzt ist weitgehend ungeklärt, ob auch bei Wirbeltieren wie Fischen unterschiedliche Verhaltensweisen innerhalb einer Art vergleichbare Folgen für das Überleben und den Fortpflanzungserfolg haben.

Der Hecht beispielsweise ist normalerweise ein geduldiger „Faulpelz“. Als Lauerräuber verbringt er seine Zeit am liebsten in von Schilf bewachsenen Uferzonen und wartet, bis ein Beutefisch vorbeikommt. Große Schwimmaktivitäten im offenen Gewässer meidet er für gewöhnlich, so die Lehrbuchmeinung. In dem 25 Hektar umfassenden Kleinen Döllnsee im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin hat ein Team um Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) nun jedoch zwei weitere, völlig andere Charaktere in ungewöhnlichen Lebensräumen beobachtet.

Peilsender enträtseln Verhalten

Ermöglicht wurde die Untersuchung durch den Einsatz moderner Fischortungstechnologie. Die Wissenschaftler statteten insgesamt 20 Tiere mit Peilsendern aus und bestimmten anschließend ihre Position im Gewässer wiederholt über ein GPS-Gerät. Über den Zeitraum von drei Monaten wurde jeder „Proband“ einmal in der Woche alle drei Stunden je Tag mindestens einmal geortet.

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Die Aufenthaltsplätze geben nach Angaben der Forscher Aufschluss über die Betriebsamkeit, Aktivität und Wahl der Lebensräume: Je öfter die Jäger ihren Standpunkt verändern und je weiter sie sich auf den offenen See hinauswagen, umso aktiver und risikofreudiger sind sie. Denn Hechte, die ihren Unterschlupf im Uferbereich verlassen, laufen Gefahr, kannibalistischen Attacken anderer Konkurrenten zum Opfer zu fallen.

Unterschiedliche Verhaltenstypen

Die Ökologen konnten in der natürlichen Hechtpopulation eine erstaunliche Vielfalt von bisher unbekannten Verhaltenstypen feststellen: Der klassische „Schilf-Typ“ verbringt die meiste Zeit bewegungslos im Röhricht. Ein aktiverer Artgenosse ist der „Unterwasserpflanzentyp“. Dieser hält sich in tieferen Ufergebieten auf, bleibt aber häufig in der Nähe von Unterwasserpflanzenbeständen, die Schutz- und Jagdrevier sind.

Gänzlich abweichende Aktionsmuster zeigt der „Opportunist“. Vertreter dieser Gruppe wagen sich zur Jagd auf das offene Wasser, nutzen aber meist die sichere Nacht. Die letztgenannte Strategie wurde nach den Ergebnissen der Forscher von den Tieren vermehrt im späteren Verlauf des Jahres an den Tag gelegt, als die Verfügbarkeit von Nahrung im Untersuchungsgewässer immer stärker abnahm.

Als regsamere Räuber verbrauchen die Opportunisten im Vergleich zu ihren Mitstreitern aber die meiste Energie. Stellt diese Strategie also einen Nachteil für den Hinterhaltsräuber Hecht dar? Hat er doch in der Entwicklungsgeschichte eine Reihe von Merkmalen ausgebildet, die dem Fisch zwar explosive Attacken, aber kein effizientes Dauerschwimmen ermöglichen.

Vielfalt statt Einfalt

Die IGB-Wissenschaftler konnten in ihrer Studie überraschender Weise feststellen, dass auch eine radikale Änderung der typischen Lebensweise zu mehr Aktivität insgesamt keine Nachteile für die anpassungswilligen Individuen nach sich zog. Ein für die aktiveren Tiere gesteigerter Energiebedarf bei der Jagd wird vermutlich durch einen höheren Beuteerfolg wieder wettgemacht.

Insgesamt zeigen die Tiere aller Verhaltenstypen identische Wachstumsleistungen. Das ist von wesentlicher Bedeutung, da die Körperlänge bei Hechten eng mit der Überlebenswahrscheinlichkeit und der Fruchtbarkeit zusammenhängt. Die Antwort der Hechte auf knappe Ressourcen ist damit aus Sicht der Wissenschaftler klar: Vielfalt statt Einfalt – ein cleveres Prinzip, nicht nur für Fische.

(idw – Forschungsverbund Berlin, 10.02.2010 – DLO)

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