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Ökologie

Wie krank ist der deutsche Wald?

Streit um die Waldzustandserhebung 2009

Erfreuliche Nachrichten aus dem Wald: Der Kronenzustand fast aller Baumarten in Deutschland – darunter Fichten, Kiefern und Eichen – hat sich verbessert. Dies war zumindest das Fazit von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner bei der Vorstellung des Waldzustandsberichts 2009 in Berlin. Umwelt- und Naturschutzorganisationen wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) dagegen sehen die neuen Zahlen eher kritisch.

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Für sie sind die Waldkrankheiten weiter ohne Therapie. Der Report sei die „Fortschreibung einer Krankenakte, die jährlich besorgniserregende Diagnosen liefert, aber keine geeignete Therapie empfiehlt“.

Laut dem Waldzustandsberichts waren 2009 36 Prozent der Bäume ohne Verlichtung. Im Vorjahr lag die Zahl noch bei 31 Prozent. Allein der Kronenzustand vieler Buchen hat sich stark verschlechtert, was vor allem auf den Fruchtbehang zurückzuführen ist.

Noch immer „deutliche Kronenverlichtungen“

Im Durchschnitt beträgt der Anteil der deutlichen Kronenverlichtungen in den Schadstufen 2 bis 4 etwa 27 Prozent. Im Jahr 2008 lag der Anteil bei 26 Prozent. Der Anteil ohne Verlichtung betrug 2009 rund 36 Prozent (2008: 31). Die mittlere Kronenverlichtung ist laut der Untersuchung leicht von 20,4 auf 19,7 Prozent zurückgegangen.

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Die Einschätzung der Kronenverlichtung erfolgt im Vergleich zu einem vollbenadelten oder vollbelaubten gesunden Exemplar der jeweiligen Baumart auf einer Schadstufenskala von 0 bis 4. Die Schadstufen 2, 3 und 4 werden dabei der Kategorie „deutliche Kronenverlichtungen“ zugeordnet.

Entwicklung der wichtigsten Baumarten

Bei der Fichte ist der Anteil der deutlichen Kronenverlichtungen von 30 auf 26 Prozent zurückgegangen. Auch die mittlere Kronenverlichtung ging gegenüber dem Vorjahr von 20,8 auf 19,4 Prozent zurück.

Auch die Kiefer hat sich nach den Ergebnissen des Reports gegenüber dem Vorjahr erholt. Der Anteil deutlicher Kronenverlichtungen beträgt 13 Prozent (2008: 18). Die mittlere Kronenverlichtung ging von 18,9 auf 15,8 Prozent zurück.

Bei der Eiche ist der Anteil der deutlichen Kronenverlichtungen ebenfalls von 52 auf 48 Prozent zurückgegangen – und der bei der mittleren Kronenverlichtung von 28,3 auf 26,5 Prozent.

Nur bei der Buche stieg laut dem Waldzustandsberichts 2009 der Anteil der deutlichen Kronenverlichtungen innerhalb eines Jahres um 20 Prozentpunkte auf 50 Prozent. Das ist ein ähnlicher Anstieg wie er 2004 als Reaktion auf den trockenen und heißen Sommer 2003 zu verzeichnen war. Die mittlere Kronenverlichtung hat sich von 22,0 auf 27,0 Prozent erhöht.

Samenbildung reduziert Belaubung

Ursache für das vergleichsweise schlechtere Abschneiden der Buche war der üppige Behang mit Bucheckern, so der Report. Die Buchensamen sind eine entscheidende Grundlage für den Nachwuchs im Wald und die Anpflanzung neuer Waldbestände. Die Samenbildung geht bei der Buche aber teilweise auch zu Lasten der Belaubung. Zudem sorgte ein trockener August mit überdurchschnittlichen Temperaturen dafür, dass die Blätter schneller vertrockneten und abfielen.

Ungewöhnlich ist die Häufung der guten Samenjahre der Buche im letzten Jahrzehnt. Da die Fruchtbildung dieser Baumart von der Sommertemperatur des Vorjahres mitbestimmt wird, liegt ein Zusammenhang mit dem Klimawandel nahe.

Wald als CO2-Speicher

„Besonders durch den Klimawandel wird der Schutz und die sinnvolle Nutzung unserer Wälder immer wichtiger. Die Wälder leisten einen bedeutsamen Beitrag zum Klimaschutz. Mit 330 Kubikmetern Holz pro Hektar gehört der deutsche Wald zu den vorratsreichsten CO2-Speichern in Europa“, sagte Aigner.

In der ober- und unterirdischen Biomasse – Holz, Laub/Nadeln und Wurzeln – sind 1,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gebunden. Wird der Waldboden in die Rechnung einbezogen, erhöht sich der Kohlenstoffspeicher um fast eine weitere Milliarde Tonnen.

Waldkrankheiten weiter ohne Therapie?

„Jahr für Jahr veröffentlichen wechselnde Agrarminister nahezu gleichbleibend schlechte Daten zum Zustand der Bäume, dann verschwinden die Akten im Schreibtisch und ein ganzes Jahr geschieht so gut wie nichts“, kommentierte dagegen der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger die neuen Ergebnisse.

Besonders bedenklich sei, dass es gerade für die in deutschen Wäldern so wichtigen Buchen- und Eichenbestände keinerlei Entwarnung gebe. Von Landwirtschaftsministerin Aigner forderte Weiger, die Ursachen für die Waldschäden deutlich zu benennen und bei deren Bekämpfung keine falschen Rücksichten auf die Autobranche oder die Agrarindustrie zu nehmen.

Stickstoffeinträge noch immer zu hoch

Die zu hohen Schadstoffemissionen dieser beiden Wirtschaftszweige seien nach wie vor hauptverantwortlich für den Stress, dem die Wälder ausgesetzt seien. Stickstoffeinträge aus Verkehr und Landwirtschaft führten zur Versauerung der Böden und schädigten die Baumwurzeln. Der Klimawandel habe außerdem dazu geführt, dass es in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts bereits sechs der zehn wärmsten Jahre seit 1890 gegeben habe. Damit könne kein Wald auf Dauer fertig werden. Dass sich die Zahl geschädigter Buchen innerhalb eines Jahres von 30 auf 50 Prozent erhöht habe, sei möglicherweise ebenfalls eine Folge des Klimawandels. Er beschleunige in Hitzesommern das Wachstum von Fruchtständen und schwäche die Widerstandskraft der Buchen.

Maßnahmen zur naturverträglichen Waldbewirtschaftung gefordert

Der BUND forderte von Agrarministerin Aigner zudem ein Maßnahmenpaket zur naturverträglichen Waldbewirtschaftung. Mit dem von ihr vorgeschlagenen Waldklimafonds müssten der Laubholzanteil massiv erhöht und die biologische Vielfalt der Wälder gestärkt werden. Mehr Vielfalt schütze auch vor der massiven Vermehrung von Insekten wie dem Borkenkäfer.

„Oberstes Ziel muss eine ökologisch nachhaltige Forstwirtschaft sein, die stabile artenreiche Waldökosysteme vor das Gewinnstreben stellt“, sagte Weiger. Um dies zu erreichen, müsse im Bundeswaldgesetz die gute fachliche Praxis der Bewirtschaftung festgeschrieben werden. Kahlschläge und Entwässerungen seien zu verbieten und es müsse ausreichend Tot- und Altholz im Wald belassen werden.

(Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz/BUND, 25.01.2010 – DLO)

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