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Medizin

HIV-Epidemie: Kein Ende in Sicht

Weltweit sinkende Neuinfektionszahlen bedeuten keine Entwarnung

Lymphozyt mit HIV Cluster © Cecil H. Fox / National Cancer Institute

Im Jahr 2008 infizierten sich „nur“ zwei Millionen Menschen neu mit HIV, 1996 waren es noch circa 3,5 Millionen – das entspricht einem weltweiten Rückgang der HIV-Neuinfektionen um bis zu 30 Prozent. Diese kürzlich von UNAIDS veröffentlichten Zahlen klingen gut, ein Ende der HIV-Epidemie ist aber noch lange nicht in Sicht – im Gegenteil.

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„Diese Daten dürfen aber nicht über die anhaltende epidemiologische Gefahr von HIV/AIDS hinwegtäuschen“, sagt beispielsweise Professor Dr. Norbert H. Brockmeyer, der Sprecher des Kompetenznetzes HIV/AIDS anlässlich des Weltaidstages am 1. Dezember. „Denn Fakt ist auch, dass die Zahl der Menschen, die mit HIV/Aids leben, stetig ansteigt.“ Zurzeit gibt es weit über 33 Millionen Infizierte weltweit. Jährlich sterben über zwei Millionen Menschen an den Folgen von Aids.

Osteuropa und Zentralasien: Anstieg um 66 Prozent

Der Experte weist zudem auf die regionalen Unterschiede in der Verbreitung des Virus hin. So stieg die Anzahl der Infizierten zwischen 2001 und 2008 in Osteuropa und Zentralasien beispielsweise um 66 Prozent. In der Ukraine erhält nur etwa jeder fünfte Patient eine adäquate Therapie. Aids-Forscher schätzen, dass in der Ukraine zwischen 30 und 50 Prozent der Drogenabhängigen HIV-positiv sind.

Auch die Übertragungswege von HIV verändern sich hier: Erstmalig im letzten Jahr wurden die meisten Infektionen durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr übertragen. „Von einer Entwarnung darf aufgrund dieser alarmierenden Zahlen daher nicht die Rede sein“, so Brockmeyer.

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Regionale Unterschiede auch in Deutschland

„Wenn wir die regionalen HIV-Epidemien, wie etwa in der Ukraine, nicht in den Griff bekommen, bedeutet das für diese Regionen nicht nur eine menschliche Tragödie sondern gleichzeitig den gesundheitspolitischen und auch wirtschaftlichen Kollaps“, so Brockmeyer weiter.

Doch auch in Deutschland sind die regionalen Unterschiede signifikant: Grundsätzlich ist eine erhöhte HIV-Häufigkeit in Großstädten und Ballungsräumen festzustellen. Verglichen mit den anderen Bundesländern hat dabei das bevölkerungsreichste Land NRW prozentual die meisten HIV-Erstdiagnosen zu verzeichnen.

Nach Höhe der Anzahl der gemeldeten HIV-Erstdiagnosen pro 100.000 Einwohner in Städten steht Köln an erster Stelle, es folgen Düsseldorf, Berlin, Frankfurt, München und Hamburg.

8.000 Patientendatensätze dienen der Forschung

„Wir müssen regionale Strategien entwickeln, die deutsche Expertise der HIV-Forschung verstärkt anbieten und gleichzeitig vorantreiben“, folgert Brockmeyer. Schließlich kommen die Fortschritte in der deutschen HIV-Forschung Betroffenen weltweit zugute. Im Kompetenznetz HIV/AIDS können dank der hier gesammelten Daten und Materialproben von über 8.000 Patienten wichtige klinische- und grundlagenwissenschaftliche Studien durchgeführt werden.

Etappensieg in der HIV-Forschung

Unterdessen hat ein Erlanger Wissenschaftler einen Etappensieg in der HIV-Forschung errungen. Laut seiner neuen Studie in der Fachzeitschrift „Cell Host & Microbe“ wird die Immunschwäche, die von Aids ausgelöst wird, nicht allein vom Erreger – dem HI-Virus – verursacht: Vielmehr programmiert der Erreger das Immunsystem derart um, dass auch nicht infizierte Zellen angegriffen werden.

Zentrale Rolle der CD4-Zellen

Im Zentrum einer Aids-Erkrankung stehen die CD4-Helferzellen. Sie erkennen in einem funktionierenden Immunsystem gefährliche Erreger und bringen den Abwehrmechanismus des Körpers in Gang. Damit das Immunsystem effektiv gegen Krankheiten arbeitet, können diese Zellen Informationen über zu bekämpfende Erreger untereinander austauschen und damit das ganze System auf einen Erreger justieren.

Bereits seit den 80er-Jahren ist bekannt, dass sich der HI-Virus in diesen CD4-Helferzellen reproduziert und diese im Laufe der Zeit zerstört. Bei unbehandelten Aidskranken werden täglich eine Milliarde dieser CD4-Zellen abgetötet. Das sind so viele wie in einem Liter Blut vorhanden sind. Die Folge: Selbst kleinste Erkrankungen, die für ein gesundes Immunsystem kein Problem darstellen – wie beispielsweise eine Erkältung – werden zur tödlichen Bedrohung. „Die Lehrmeinung, dass die CD4-Helferzellen allein vom Virus zerstört werden, schien so überzeugend, dass sie über Jahre hinweg nicht angezweifelt wurde“, schildert Baur.

Protein programmiert Helferzellen um

In seinen Forschungen kommt er aber zu einem Ergebnis, dass diese Meinung nicht nur zweifelhaft erscheinen lässt, sondern heftig ins Wanken bringt. Im Zentrum seiner Arbeit steht das einzige noch unerforschte Protein des Virus: das Nef-Protein. Ohne dieses bricht die Krankheit nicht aus und die Reproduktion des Virus wird stark eingeschränkt. „Viele vermuten daher, dass die Lösung des Aids-Rätsels in direktem Zusammenhang mit der Entschlüsselung dieses Proteins steht“, erklärt Baur die Bedeutung von Nef. Aus diesem Grund machte er es sich zur Aufgabe, Nef zu enträtseln.

Baur kommt zu dem Schluss, dass das Nef-Protein in infizierten CD4-Helferzellen hergestellt wird, in der Folge aber mittels mikroskopisch kleiner Teilchen an nicht infizierte Helferzellen weitergegeben wird. Auf diese Weise werden weit mehr Zellen befallen als tatsächlich infiziert sind. Dieser Befall nicht-infizierter Zellen durch Nef, so Baur, hat fatale Folgen für deren Funktionsfähigkeit und Überleben und erklärt gut, warum der Zusammenbruch des Immunsystems viel umfassender ist als bislang angenommen. Entgegen der langjährigen Meinung sterben daher nicht nur Helferzellen, die direkt vom Virus befallen sind.

Vereinfacht bedeutet dies nach Angaben des Forschers, dass Aids wie eine Art Autoimmunerkrankung funktioniert, die das Immunsystem des eigenen Körpers angreift. Baurs Berechnungen zufolge sind im Blut von HIV-Patienten ungefähr hundert Mal mehr Immunzellen von Nef befallen als wirklich infiziert sind. Und tatsächlich konnte er nachweisen, dass bis zu 87% der Helferzellen von HIV-Patienten Vesikel bilden, eine typische Folge des Nef-Befalls und ein stichhaltiger Beweis für seine Theorie.

Entdeckung liefert die Erklärung

Die spektakuläre Entdeckung von Baur passt zu den Ergebnissen der jüngeren Forschung und gibt dort Antworten, wo diese noch Fragen offen ließ. So erschütterten 2003 die Ergebnisse von Professor Mark Feinberg von der Emroy Universität von Atlanta die Aids-Forschung. Er stellte fest, dass der Zelltod nicht infizierter und nicht beteiligter Helferzellen der entscheidende Schritt der Immunkrankheit ist.

Zu diesem unerwarteten Ergebnis kam er, indem er zwei verschiedene Affenarten mit einem dem HI-Virus ähnlichen Erreger infizierte. Während die eine Affenart Krankheitssymptome entwickelte, blieben diese beim anderen Affen aus – obwohl sich bei beiden Tieren das Virus gleich reproduzierte. Das heißt, das Immunsystem des beinahe symptomfreien Affen war evolutionär besser auf das Virus eingestimmt. Eine schlüssige Erklärung, wie die nicht beteiligten Helferzellen sterben, konnte Feinberg allerdings nicht bieten. Die liefert jetzt Baur mit seinen Erkenntnissen.

Das Rätsel um die Entstehung der Krankheit Aids ist zwar bei Weitem noch nicht gelöst. Aber Baur hat mit seinen Ergebnissen eine wichtige Hürde in der Aids-Forschung genommen. „Wir sind der Lösung auf der Spur“, macht der Erlanger Wissenschaftler Hoffnung.

(idw – Ruhr-Universität Bochum/Hautklinik Erlangen/Birke und Partner, 01.12.2009 – DLO)

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