Ein fundamentales Prinzip, das seit Jahrzehnten in der Pharmabranche gilt, in Frage gestellt hat eine Erkenntnis eines internationalen Wissenschaftlerteams: Die Chemiker entdeckten einen neuen Bindungstypen, der beide Spiegelbilder eines Wirkstoffs aufnehmen kann.
Die Ergebnisse ihrer Arbeit könnten einen neuen Ansatz für die Entwicklung von Medikamenten darstellen, berichten die Forscher im Fachblatt „Angewandte Chemie“.
Revolutionäre Erkenntnis
Das Wissen von heute ist der Irrtum von morgen, heißt es – Rolf Breinbauer, Leiter des Instituts für Organische Chemie der Technischen Universität Graz Graz, hat das gemeinsam mit seinen deutschen Kollegen vom Max-Planck-Institut für Molekulare Physiologie in Dortmund sowie der Universität Leipzig eindrucksvoll bewiesen. In ihrer neuen Studie verbirgt sich eine revolutionäre Erkenntnis, die die Realität besser abbildet als bisher bekannte Annahmen.
Gefährlicher Doppelgänger
In der Entwicklung von Medikamenten haben Moleküle eines Wirkstoffes häufig einen spiegelgleichen Doppelgänger. Nach bisheriger Meinung konnte an den entsprechenden Rezeptoren, den Bindetaschen einer Zelle, nur eines der beiden Enantiomere – das sind Verbindungen, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten – andocken.
Im besten Fall schwirrt das zweite Enantiomer unnütz im Körper herum. In Einzelfällen kann dieses aber sehr gefährlich ausfallen, wie im Fall von Contergan, wo das Spiegelbild eines Enantiomers zu schwersten Missbildungen bei ungeborenen Kindern führte.
Beide Spiegelbilder in der Tasche
Die Wissenschaftler haben nun ein völlig anderes Verhalten von bestimmten Enantiomeren entdeckt: Bei der Forschung an einem Enzym fand das Forscher-Trio Bindetaschen, in denen beide Enantiomere eines getesteten Hemmstoffs gleichzeitig gebunden waren. Dieser der gängigen Lehrbuchmeinung widersprechende Befund trägt zu einem verbesserten Verständnis der Bindung von spiegelgleichen Verbindungen an Rezeptoren bei, wie er vor allem am Anfang der Medikamentenentwicklung eine Rolle spielt.
„Die Entdeckung könnte interessante neue Perspektiven für die Pharmaforschung eröffnen“, sagt Breinbauer. Zum einen könnte die Entwicklung von Medikamenten beschleunigt werden, was die enormen Kosten von ein bis zwei Milliarden Euro pro Medikament und damit auch den Handelspreis reduzieren würde; zum anderen könnten Medikamente früher auf den Markt kommen und trotzdem sicher sein.
(idw – Technische Universität Graz, 17.11.2009 – DLO)