Bakterien, die rasch wechselnden Umweltbedingungen ausgesetzt sind, können auch ohne zusätzliche Mutationen unterschiedliche Nachkommen hervorbringen. Diese Evolution einer solchen als „bet hedging“ bezeichneten Anpassungsstrategie haben Wissenschaftler nun erstmals im Labor mitverfolgt. Wie sie in „Nature“ berichten war diese „Risikostreuung“ möglicherweise eine der ersten Strategien von Organismen, um sich an immer wieder wandelnde Umweltbedingungen auf der Erde anzupassen.
Der Volksmund weiß es schon lange: Sprichwörter wie „nicht alle Eier in einen Korb legen“ oder „nicht alles auf eine Karte setzen“ raten, Risiken zu verteilen und so zu verringern. Auch in der Biologie sind solche Strategien schon länger bekannt und werden als „bet-hedging“ bezeichnet. Sie stehen im Gegensatz zur üblichen Anpassung an die Umgebung im Evolutionsgeschehen, bei der sich die Träger vorteilhafter Mutationen gegen andere Individuen durchsetzen, die diese Mutation nicht aufweisen.
Mehr Chancen durch „zweigleisig fahren“
Vielmehr handelt es sich um eine Strategie, bei der von einer Generation Nachkommen produziert werden, die zwar genetisch identisch sind, sich aber in ihrer Anpassung an die jeweilige Umwelt unterscheiden: Einige Nachkommen sind an die bestehenden Umweltbedingungen optimal angepasst, während sich andere Nachkommen unter völlig anderen Bedingungen am wohlsten fühlen. Bei einer schnellen und dramatischen Änderung der Umgebung können sie so plötzlich im Vorteil sein und dadurch das Überleben der Art sichern.
Der evolutionäre Vorteil dieser bet-hedging-Strategie ist dabei umso größer, je drastischer und unvorhersehbarer sich die Umweltbedingungen ändern. Bakterielle Krankheitserreger besitzen beispielsweise solche Mechanismen zur Risikostreuung: Indem genetisch identische Zellen unterschiedliche Oberflächen ausbilden, entkommen einige der Erreger dem menschlichen Immunsystem. Weitere Beispiele für bet-hedging sind aus dem Tier- und Pflanzenreich bekannt.
Evolution im Reagenzglas
Christian Kost vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena hat nun am New Zealand Institute for Advanced Study im neuseeländischen Auckland Bakterien der Art Pseudomonas fluorescens auf diese Strategie hin untersucht. Diese Bakterien vermehren sich alle 52 Minuten und sind aufgrund ihrer kurzen Generationszeit besonders dazu geeignet, die Beobachtung von Evolution so zusagen im Reagenzglas zu ermöglichen. Außerdem können neu entstandene Mutationen in der DNA aufgrund ihres relativ kleinen Genoms vergleichsweise leicht gefunden werden.
Geschüttelt, nicht gerührt
Für ihre Experimente setzten die Wissenschaftler Pseudomonas-Stämme abwechselnd ungeschütteltem oder geschütteltem Nährmedium aus, um so Varianten zu erzeugen, die aufgrund vorteilhafter Mutationen im Erbgut entweder „geschüttelt“ oder „ungeschüttelt“ einen Vorteil hatten. In beiden Umwelten musste sich also jede durch Mutation neu entstandene Variante gegen alle
unmutierten Vertreter des Ausgangsstammes durchsetzen.
Unter der Annahme, dass sich eine Variante, die sich äußerlich von ihrem Vorgänger unterschied (zum Beispiel glatte gegenüber rauer Oberfläche), auch gegen diesen durchgesetzt hatte, wurde der jeweils häufigste Vertreter dieser neuen Varianten ausgewählt und der jeweils anderen Umwelt ausgesetzt. Eine für das geschüttelte Nährmedium vorteilhafte Mutation wurde dadurch zum Nachteil im ungeschüttelten Medium und umgekehrt. Deshalb mussten neue Mutationen und damit neue Varianten entstehen, die diesen Nachteil wieder kompensierten. Kaum hatten sich die Bakterien also an eine Umgebung angepasst, wurden sie gezwungen, sich erneut umzustellen.
Ein Genotyp, mehrere Varianten
Durch den ständigen und regelmäßigen Wechsel zwischen geschütteltem und ungeschütteltem Medium entstanden nach kurzer Zeit Typen mit gleicher genetischer Ausstattung (Genotypen), die immer zwei verschiedene Varianten erzeugten. Einmal entstanden, war das also die ultimative Überlebensstrategie für diese bet-hedging-Pseudomonaden, denn alle anderen Genotypen, die ihre
Variation immer nur durch neue Mutationen realisieren konnten, hatten keine Chance, sich gegen die bet-hedging-Varianten durchzusetzen.
Eine Genanalyse ergab, dass beide Varianten auf genetischer Ebene absolut identisch waren. Des Weiteren unterschied sich der bet- hedging-Genotyp durch neun Mutationen vom Ursprungsstamm, mit dem das Experiment gestartet worden war. Dabei war ausschließlich die zuletzt aufgetretene Mutation für das bet-hedging verantwortlich.
Strategie erfolgreich und vermutlich sehr alt
„Unsere Experimente belegen, dass Risikostreuung eine sehr erfolgreiche Anpassung an sich rasch ändernde Umweltbedingungen ist. Denn wenn ein und derselbe Genotyp gleichzeitig mehrere Varianten hervorbringt, kann er schneller auf starke Änderungen der Lebensbedingungen reagieren“, erklärt Kost. Und Paul Rainey, Leiter der Studie an der Massey University Auckland, ergänzt: „Bet-hedging war möglicherweise eine der ersten Strategien von Organismen, um sich an immer wieder wandelnde Umweltbedingungen auf der Erde anzupassen. Dies lässt sich aus der Leichtigkeit schließen, mit der die Strategie in unseren Experimenten entstand.“
(Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, 06.11.2009 – NPO)