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Biologie

Blaualgen trotzen Lichtstress

Forscher untersuchen Flexibilität von Cyanobakterien bei wechselnden Umweltbedingungen

Elektronenmikroskopische Aufnahme des Cyanobakteriums Synechocystis PCC 6803 (Zelldurchmesser ca. 1.5 µm) © RUB

Gleich drei Gene für eine einzige Untereinheit eines Elektronen übertragenden Proteinkomplexes hat das Cyanobakterium Synechocystis – und damit höheren Pflanzen etwas voraus. Der Proteinkomplex ist neben der Zellatmung auch für die Photosynthese von Bedeutung. Je nach Lichtangebot greift die Blaualge, auf das passende Gen zurück. Dies sind nur einige der wichtigsten Ergebnisse eines internationalen Wissenschaftlerteams zur Flexibilität des Cyanobakteriums Synechocystis bei Lichtstress.

Mit dieser Strategie sichert es sich seit 3,5 Milliarden Jahren sein Überleben, indem es sich optimal auf wechselnde Umweltbedingungen einstellt, so die Forscher. Für die Anpassung an schwaches oder starkes Licht benötigt die Blaualge weniger als 90 Minuten. Die Biologen um Professor Matthias Rögner von der Ruhr-Universität Bochum (RUB) stellen die Resultate ihrer neuen Studie in der aktuellen Ausgabe des „Journal of Biological Chemistry“ vor.

Cyanobakterien haben die Photosynthese „erfunden“

Die Cyanobakterien dienen Biologen als Modellorganismen zur Aufklärung so grundlegender Prozesse wie der pflanzlichen Photosynthese – der Umwandlung von Lichtenergie in gebundene „chemische“ Energie, zum Beispiel in Form von Zucker oder Stärke. Cyanobakterien sind erdgeschichtlich die ersten Organismen, die den Prozess der Wasserspaltung, bei der Sauerstoff freigesetzt wird, durch Sonnenlicht vor circa 3,5 Milliarden Jahren erfunden haben.

„Daher verdanken wir ihnen die Entstehung alles ‚höheren‘ Lebens auf der Erde einschließlich der des Menschen“, erklärt Rögner: „Praktisch jedes zweite Sauerstoffatom, das wir einatmen, geht auf den Prozess der Wasserspaltung durch Cyanobakterien zurück.“

Überleben durch Anpassung

Dennoch ist die molekulare Grundlage für das erfolgreiche Überleben dieser Organismen über diese lange Zeit nicht ausreichend geklärt. „Eine wichtige Voraussetzung für ihre Robustheit waren sicherlich ihr einfacher zellulärer Aufbau und ihre Anpassungsfähigkeit an rasch wechselnde Umweltbedingungen, zum Beispiel an drastische Veränderungen in der Lichtzufuhr“, so Rögner. Er und seine Kollegen haben nun am Beispiel der Lichtzufuhr untersucht, wie es der Blaualge gelingt sich anzupassen.

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Membranmodell mit Proteinkomplexen des photosynthetischen und

Drei Gene für eine Proteinuntereinheit

Im am besten charakterisierten Cyanobakterium Synechocystis PCC 6803 fanden die Forscher für eine einzige Untereinheit des Elektronen übertragenden Cytochrom b6f-Proteinkomplexes drei Gene – im Gegensatz dazu ist der Bauplan der sieben anderen Untereinheiten dieses Komplexes jeweils nur in einem einzigen Gen verschlüsselt. Der Komplex spielt in Blaualgen – anders als in höheren Pflanzen – sowohl für den Elektronentransport der Photosynthese als auch für die Atmung dieser Zellen eine Schlüsselrolle und ist in der Photosynthese- (bzw.

Thylakoid-)membran (TM) lokalisiert.

„Unsere Untersuchungen am Wildtyp und an eigens erzeugten Mutanten haben ergeben, dass diese ‚Genfamilie‘ ein präzises Instrumentarium darstellt, mit dem sich die Zelle rasch an veränderte Lichtbedingungen anpassen kann“, erklärt Rögner. Während Genkopie 1 hauptsächlich unter Normallicht abgelesen wird, aktiviert die Zelle Genkopie 2 bei starkem Licht, was ihr das Überleben sichert. Dieses Umschalten erfolgt in weniger als 90 Minuten, wie über RNA-Analyse gezeigt werden konnte.

Genkopie 3 wirkt aus der Ferne

Genkopie 3, über die am wenigsten bekannt war, ist offensichtlich für die Regulation dieser Vorgänge mit verantwortlich. „Erstaunlicherweise wird es gar nicht in den Komplex integriert, sondern ist ausschließlich in der äußeren Cytoplasmamembran (CM) zu finden, nicht in der Thylakoidmembran“, beschreibt Rögner.

Wie die Genkopie 3 aus der Ferne in den Prozess eingreifen kann, gibt den Forschern momentan noch Rätsel auf. Mit Genkopie 3 allein kann die Zelle nicht überleben, aber ohne sie funktioniert die Regulation nicht optimal.

Alle drei Gene sind nötig

„Insgesamt zeigen die Ergebnisse sehr deutlich, dass die Zelle für eine optimale Funktion alle drei Gene braucht und dass nur dieser Mix aus Genen eine rasche und effiziente Anpassung an kurzfristige Änderungen der Umweltbedingungen – insbesondere Licht – ermöglicht“, fasst Rögner zusammen.

Während höhere Pflanzen für jede Untereinheit des Cytochrom b6f-Komplexes nur eine Genkopie besitzen, sei die Existenz solcher Genfamilien – auch beim wasserspaltenden Photosystem 2 – sicherlich ein wesentlicher Grund für die Flexibilität und das Überleben der Cyanobakterien seit 3,5 Milliarden Jahren auch unter extremen Bedingungen. „Dies hat letztendlich die Evolution und die Veränderung der Atmosphäre unseres Planeten seit der Urzeit erst ermöglicht.“

(idw – Ruhr-Universität Bochum, 29.10.2009 – DLO)

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