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Zoologie

Sisyphos‘ Erbin: Sahara-Spinne rollt auch bergauf

Außergewöhnliches Tierverhalten in der Wüste beobachtet

Rad-Spinne © Rechenberg / TU Berlin

Ein Berliner Forscher hat in der Sahara einen achtbeinigen „Sisyphos“ beobachtet: Eine dort lebende Rad-Spinne trotzte souverän der Schwerkraft. Wie der Held in der griechischen Mythologie einen Felsbrocken, so bewegte sie ihren massiven Körper rollend den Dünenberg aufwärts.

„Als die Steigung zu groß wurde, kippte sie nach hinten über und trudelte wieder bergab – um dann, wie Sisyphos, wieder von vorn zu beginnen“, berichtet Professor Ingo Rechenberg von der Technischen Universität Berlin.

Rad-Spinnen bevorzugen ebene Dünenfelder

„Ich war 60 Tage vor Ort und habe in jeder Nacht meine Rad-Spinnen beobachtet. Man findet sie nachts auf ebenen Dünenfeldern. Ich habe 15 bis 20 von ihnen nach und nach gefangen, um sie im ersten Morgenlicht studieren zu können“, sagt Rechenberg. So hat er gemessen, dass sich die Gliederfüßer mit einer Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde auf ihren acht Beinen laufend fortbewegen.

„Sobald sie jedoch anfangen zu rollen, sind sie doppelt so schnell“, berichtet er. Die Geschwindigkeitssteigerung ergibt sich dadurch, dass nach jeder Körperumdrehung eine 15 bis 20 Zentimeter lange Flugstrecke folgt. Die Rolltechnik setzen die Spinnen immer dann ein, wenn sie vor einer Gefahr flüchten.

„Selbstverständlich habe ich die Spinnen wieder frei gelassen, wenn sie ihre Schuldigkeit getan hatten“, sagt Rechenberg. Die sensationelle Entdeckung machte er zufällig: „Ich baute gerade meine Kamera an einem Hang auf, als die Spinne mir entwischte, indem sie den Hang hinaufrollte“. Der Wissenschaftler war erstaunt: „Ich rief sofort meinem Mitarbeiter Abdulah Regabi El Khyari zu, ob er das auch gesehen hätte“, berichtet Rechenberg. Der hatte.

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40 Prozent Steigung kein Problem

Grund genug zu untersuchen, ob der Zufall vielleicht eine Regel sein könnte. Andere Spinnen derselben Art zeigten aber das gleiche Verhalten. Bis zu 40 Prozent Steigung können die Spinnen bewältigen – je steiler die Düne, desto langsamer wird allerdings die Vorwärtsbewegung. „Man merkt ihnen dann die Anstrengung an“, konstatiert der Wissenschaftler.

Bereits im vergangenen Jahr entdeckte Rechenberg die für ihn noch unbekannte Art. Der Spinnenexperte Peter Jäger vom Senckenberg-Institut konnte nun aufklären: Es handelt sich um eine Cebrennus villosus, die bereits aus Algerien und Tunesien bekannt ist. Dass sich diese Art allerdings rollend fortbewegt, wurde bislang noch von keinem Biologen beschrieben.

Perfekt angepasst

So genannte Rad-Spinnen sind sonst nur in der südafrikanischen Namib-Wüste bekannt. Aber diese können nur passiv die Düne hinunterkullern. Das ungewöhnliche Verhalten der fast handtellergroßen Sahara-Rad-Spinne faszinierte den Forscher. Deshalb machte er sich auch in diesem Jahr wieder zu zwei bis drei Kilometer weiten Nachtwanderungen in der Wüste Erg Chebbi am Rande der Sahara in Marokko auf. Mit Erfolg: Seine Filmaufnahmen der Achtbeiner werfen neue Fragen auf.

Rechenberg fährt seit 25 Jahren in die Sahara, weil den Bionik-Experten extreme Lebensbedingungen interessieren. In ungewöhnlicher Umgebung findet der Forscher Lebewesen, die sich an eine extreme Umwelt auf besondere Art und Weise anpassen. Und diese Art der Anpassung lässt häufig kühne Ideen für innovative Produkte oder Anwendungen entstehen. So untersuchte Rechenberg in der Sahara Sandfische und Sandschleichen. Beides sind Echsen, deren Oberflächen so glatt sind, dass sie sich in den Dünen wie Fische im Wasser bewegen können. Wie man den außergewöhnlich geringen Reibungswiderstand der Schuppenhäute auf industrielle Anwendungen übertragen kann, hat den Forscher bereits ausgiebig beschäftigt.

Bewegungsmuster der Spinne wird analysiert

Seit der Entdeckung „seiner“ Spinne, die er „Araneus rota“ nennt, treibt ihn die wissenschaftliche Neugierde in eine neue Richtung. „Im vergangenen Jahr hatte ich die Theorie, dass ausschließlich die vordersten Gliedmaßen für die Rollbewegung verantwortlich sind. Da hatte ich mich gründlich geirrt; die Beinbewegung ist viel, viel raffinierter“, erklärt der Professor nach seinen neuesten Beobachtungen.

Anhand der mitgebrachten Filmaufnahmen will er nun das Bewegungsmuster der Spinne genau studieren. Und wer weiß, vielleicht gibt es irgendwann ein Transportvehikel, das – wie Araneus rota – sowohl laufen als auch rollen kann.

(idw – Technische Universität Berlin, 28.10.2009 – DLO)

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