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Medizin

Eiweißmangel schuld an Erbkrankheit

Kristallstruktur eines neuronalen Proteins bietet möglichen Ansatz für Therapie

© Helmholtz Zentrum München

Das erst vor kurzem entdeckte Fragile X Tremor/Ataxie Syndrom (FXTAS) ist eine der häufigsten erblichen neurodegenerativen Krankheiten. Man geht davon aus, dass die Krankheit durch einen Mangel an dem Protein Pur-alpha ausgelöst wird, das für die normale Nervenfunktion unerlässlich ist. Nun ist es Biologen gelungen, die Röntgenkristallstruktur von Pur-alpha zu entschlüsseln.

Wie die Forscher um Dierk Niessing vom Helmholtz Zentrum München und dem Genzentrum der Universität München in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) berichten, haben sie so Einblicke in die molekulare Funktionsweise dieses Proteins gewonnen – und damit Ansatzpunkte für Therapien.

Mutation als Ursache

Bei den meist männlichen FXTAS-Patienten treten die Symptome nach Angaben der Forscher etwa ab dem 55. Lebensjahr auf. Dabei führt das sich fortschreitend verstärkende Nervenleiden zu einem Zittern der Hände und zu Gleichgewichtsstörung sowie Fallneigung beim Gehen (Ataxie). Häufig wird auch eine Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten und Demenz beobachtet.

Ursache des FXTAS ist eine Mutation im FMRP-Gen. Diese tritt ungefähr bei einem von 800 Männern auf. Dabei zeigen sich abnorm verlängerte Wiederholungen der Basensequenz CGG: Gesunde Menschen haben fünf bis 54 dieser Wiederholungen, FXTAS-Träger haben 55 bis 200. Bei einer weiteren Verlängerung mit über 200 Wiederholungen tritt schließlich das Fragile X-Syndrom (FXS) auf, das nach dem Down-Syndrom die zweithäufigste Ursache erblicher geistiger Behinderung ist.

FXTAS wird durch einen Mangel an dem Protein Pur-alpha ausgelöst: das Protein bindet an die CGG-Sequenzen der Boten-RNA (mRNA). Weil durch die abnorme Zahl der Wiederholungen viel mehr Pur-alpha gebunden wird, steht es nicht mehr für seine normale zelluläre Funktion zur Verfügung.

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PUR-Repeat gleicht einer Hand

Wie die Forscher in der Online „Early Edition“ von PNAS jetzt schreiben, besteht das Pur-alpha aus drei sich wiederholenden Einheiten, den PUR-Repeats. „Die Kristallstruktur von Pur-alpha ermöglicht ein tieferes Verständnis der Funktionsweise des Proteins und könnte zur Entwicklung einer Therapie gegen FXTAS beitragen“, sagt Niessing. „Derzeit ist nur eine Linderung der Symptome, aber keine Behandlung der Ursachen möglich.“

Und Almut Graebsch aus Niessings Team ergänzt: „Ein PUR-Repeat sieht wie eine Hand aus – das aus vier Strängen bestehende Beta-Faltblatt entspricht den vier Fingern und die Alpha- Helix ähnelt einem Daumen.“ Zwei PUR-Repeats binden dabei auf eine ganz bestimmte, einem molekularen Händedruck gleichende Weise aneinander und formen so eine funktionelle Einheit.

Die Forscher ergänzten ihre Röntgenstrukturanalyse mit einer weiteren Technik, dem so genannten Small Angle X-Ray Scattering, und fanden heraus, dass Pur-alpha Dimere bildet, also immer zwei Protein-Moleküle aneinander binden. Deren Entstehung verläuft wahrscheinlich über einen sehr ähnlichen molekularen Händedruck wie die Bindung der PUR-Repeats aneinander.

FXTAS heilbar?

Im Tierversuch konnten die Forscher zeigen, dass die FXTAS-Symptome verschwinden, wenn zusätzliches Pur-alpha zugegeben wird. „Vielleicht ist FXTAS heilbar, wenn man die Bindung von Pur-alpha an die Wiederholungen der Wiederholungen der Basensequenz CGG der mRNA verhindern kann“, sagt Niessing. Erste Hinweise, welche Aminosäuren von Pur-alpha an der Bindung beteiligt sind, konnte das Team bereits durch Mutationsstudien finden.

Im nächsten Schritt wollen die Forscher nun im Detail aufklären, wie Pur-alpha an die RNA bindet. Mit diesem Wissen könnten die krank machenden Interaktionen verhindert werden.

(idw – Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, 26.10.2009 – DLO)

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