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Neurobiologie

Freie Bahn für größeres Gehirn

Kurze Phase der Zellteilung von Stammzellen könnte Erklärung für evolutionäres Geheimnis liefern

Abgebildet ist ein Schnitt durch die Großhirnrinde eines Mausembryos. Die Zellen, in die eine erhöhte Menge des cdk4/cyclinD1-Komplexes eingebracht wurde, sind grün und rot angefärbt. © Christian Lange / Federico Calegari

Dresdner Forscher haben einen Weg gefunden, die Vermehrung körpereigener Stammzellen im Gehirn zu steuern. Die Länge der Zeitspanne zwischen zwei Zellteilungen beeinflusst danach maßgeblich, wie viele Stamm- und reife Nervenzellen gebildet werden. Den Wissenschaftlern gelang der Nachweis, dass die Verkürzung dieser Zeit die Vermehrung von Stammzellen ermöglicht und dadurch das Gehirn vergrößern kann.

Diese Ergebnisse untermauern eine Hypothese der Evolutionsforschung mit experimentellen Daten und könnten gleichzeitig den Weg für Therapien bei Schlaganfall ebnen, so die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Cell Stem Cell“.

Was beeinflusst die Nervenneubildung?

Die Entstehung und Reifung des Nervensystems ist ein wichtiger Prozess, in dem Eigenschaften von körpereigenen Stammzellen untersucht werden können. Während der embryonalen Entwicklung des Gehirns schalten neurale Stammzellen immer mehr dazu um, bei der Zellteilung statt zwei Stammzellen mindestens eine Nervenzelle zu bilden, die sich dann nicht weiter teilt. Der Zeitpunkt dieses Umschaltens zur Bildung von Nervenzellen – Neurogenese – reguliert die Balance zwischen Vermehrung, Selbsterneuerung und Verbrauch des Vorrates an Stammzellen, wodurch wiederum die Größe des Gehirns festgelegt wird.

Bisher war höchst umstritten, ob eine simple Änderung der Zeitspanne zwischen zwei Zellteilungen die Differenzierung der Tochterzellen hin zur Nervenneubildung beeinflusst. In ihrer neuen Studie zeigen Dr. Federico Calegari und Christian Lange vom DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD), dass die Dauer der Zellteilung, speziell der so genannten G1 Phase – die erste Phase des Zeitraumes zwischen zwei Zellteilungen zwischen der Neubildung der Zelle und der DNA-Verdoppelung für die nächste Zellteilung -, wesentlich das Umschalten von Stammzellvermehrung zur Neurogenese steuert.

So ist eine längere G1 Phase notwendig zur Bildung von Nervenzellen. Eine kürzere G1 Phase dagegen hemmt deren Bildung und fördert die Vermehrung von Stammzellen – eine wichtige Voraussetzung für regenerative Therapien. Die Studie ist gemeinsam mit Professor Wieland Huttner vom Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden entstanden.

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Versuche mit Mäusen

Um aufzuklären, welchen Effekt die Dauer der G1 Phase auf die Bildung von Nervenzellen hat, erhöhten die Forscher die Menge eines Proteinkomplexes cdk4 und cyclinD1 im Gehirn sich entwickelnder Maus-Embryonen, mit dem Resultat, dass sich die Länge der G1 Phase verkürzte. „Unsere Theorie war, dass eine kürzere G1 Phase die Neurogenese unterdrücken sollte und sich die Stammzellen vermehren. Da der Effekt nach wenigen Tagen nachlässt, sollten die vermehrten Stammzellen dann wieder Nervenzellen bilden und somit die Oberfläche der Hirnrinde vergrößern“, so Calegari.

Genau das haben die Wissenschaftler dann auch beobachtet. Aber die Studie hielt auch Überraschungen bereit: Die Verkürzung der G1 Phase bewirkte, dass anstelle der Nervenzellen eine besondere Art von Stammzellen gebildet wurde: so genannte basale Progenitorzellen. Diese Zellen wandern in die benachbarte Hirnregion, die subventrikuläre Zone ein, vermehren sich dort, können aber im Gegensatz zu normalen neuralen Stammzellen ausschließlich zu Nervenzellen differenzieren.

„Aufgrund der vermehrten Bildung der basalen Progenitorzellen konnten wir eine Vergrößerung der subventrikulären Zone um 40 Prozent im Gehirn der Mäuse beobachten. Weiterhin waren die Nervenzellen, die von den veränderten Stammzellen gebildet wurden, auf ein größeres Gebiet der Großhirnrinde verteilt“, fasst Lange, Doktorand bei Calegari, die Ergebnisse zusammen.

Grund für die Vergrößerung der Hirnrinde identifiziert

Die experimentellen Daten der Studie belegen die Hypothese, dass ein erhöhter Anteil an basalen Progenitorzellen in höheren Säugetieren der Grund für die Vergrößerung der Hirnrinde während der Evolution ist. Bisher konnten nur vergleichende Untersuchungen in verschiedenen Arten gemacht werden.

„Wir konnten zum ersten Mal in derselben Art mit Daten zeigen, dass die Vermehrung der basalen Progenitorzellen die Oberfläche der Hirnrinde vergrößert, die durch diese Zellen gebildet wird“, so Calegari. Vor allem bieten die Ergebnisse der Studie neue Einblicke in die Vermehrung und Differenzierung körpereigener Stammzellen. Erstmals konnte bewiesen werden, dass Zeit – als Dauer der Zellteilung – ein wesentlicher Faktor bei der Steuerung dieser Vermehrung ist. Eine ähnliche Rolle könnte der Faktor Zeit auch bei der Vermehrung oder Differenzierung von adulten neuralen Stammzellen spielen. Bei Schlaganfällen können diese Ergebnisse zu neuen Therapien verhelfen.

Bald neue Therapien für Schlaganfall-Patienten?

„Nach einem Schlaganfall können nur wenige der abgestorbenen Zellen im Gehirn wieder regeneriert werden. Dazu gibt es zu wenige Stammzellen. Wenn man einen Weg findet, deren Anzahl zu steigern, zum Beispiel durch die Verkürzung der G1 Phase, könnte Schlaganfall-Patienten geholfen werden“, erklärt Lange. Diese Studie sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin.

(idw – DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden, 08.09.2009 – DLO)

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