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Botanik

Urtümliche Pflanze mit eingebautem „Werkzeugkasten“

Studie: Brachsenkraut birgt genetische Überraschungen

Brachsenkraut © US Fish & Wildlife Service

Botaniker sind bei genetischen Analysen einer urtümlichen Pflanze, dem so genannten Brachsenkraut, auf einige Überraschungen gestoßen. Die Forscher haben das Erbgut der Mitochondrien unter die Lupe genommen und dabei festgestellt, dass die Erbanlagen mehr als 1.500 Fehler enthalten, die die Pflanze vor Umsetzen der Information korrigieren muss.

Dazu steht ihr wahrscheinlich ein kompletter „Werkzeugkasten“ mit vielen hundert Korrektur-Enzymen zur Verfügung. Möglicherweise gibt es sogar für jeden Fehler ein eigenes Werkzeug, so die Wissenschaftler der Universitäten Bonn und Bielefeld in der Fachzeitschrift „Nucleic Acids Research“.

Kraftwerke der Zelle

Mitochondrien zählen zu den Organellen. Das sind Zellbestandteile, die – ähnlich wie im größeren Stil Organe – spezielle Aufgaben übernehmen. So erzeugen Mitochondrien das energiereiche Molekül ATP. Sie werden daher oft auch als Zellkraftwerke bezeichnet.

Mitochondrien sind vor mehr als einer Milliarde Jahren aus Bakterien entstanden, die von höheren Zellen aufgenommen wurden. Für diese Endosymbiontentheorie spricht unter anderem, dass die Zellkraftwerke über eine eigene DNA verfügen. „Das Erbgut pflanzlicher Mitochondrien ist dabei häufig viel exotischer aufgebaut als das von Tieren“, erklärt Felix Grewe vom Institut für Zelluläre und Molekulare Botanik. „Das ist auch im urtümlichen Brachsenkraut, Isoetes engelmannii, nicht anders.“

Ein kleines Schlüsselmolekül - eine so genannte tRNA für die Aminosäure Prolin - zeigt, wie umfangreich das RNA editing in Isoetes sein kann: An 18 Stellen werden C-Bausteine gegen U-Bausteine getauscht. Nur die Us können dann an vielen wichtigen Stellen mit den As gegenüber paaren. © AG Knoop / Uni Bonn

Mehr als 1.500 Fehler im Erbgut

Die Bonner Botaniker haben das Erbgut der Zellkraftwerke von Isoetes genauer unter die Lupe genommen. Dabei haben sie unter anderem entdeckt, dass die Erbanlagen mehr als 1.500 Fehler enthalten. Das scheint die Pflanze aber nicht weiter zu stören: Die Fehler werden nämlich bei Bedarf korrigiert – und zwar durch einen Satz von vielen hundert spezialisierten Werkzeugen.

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Im Grunde genommen ist DNA nichts anderes als eine Art Bibliothek, deren Originalschriften viel zu wichtig sind, als dass man sie verleihen würde. Wer Informationen benötigt, kann jedoch eine Kopie bestellen. Diese enthält dann beispielsweise die Bauanleitung für ein spezielles Protein. In Isoetes ist der Original-Bibliotheksbestand an 1.500 Stellen fehlerhaft. Würde man die Bauanleitungen ungeprüft übernehmen, würden die danach konstruierten Proteine wahrscheinlich gar nicht oder nur schlecht funktionieren.

Molekulare „Korrekturleser“

Es gibt aber molekulare „Korrekturleser“, die die Fehler berichtigen – allerdings nur in den Kopien. „Möglicherweise gibt es für jeden einzelnen Fehler ein spezialisiertes Molekül, das ihn korrigiert“, erklärt Institutsleiter Professor Volker Knoop.

Letztlich bedeutet das nichts anderes, als dass die korrekte Information in Form dieser Moleküle (deren Bauanleitung ebenfalls Teil der DNA ist) gespeichert ist. Dieses sehr komplexe Prinzip kennt man inzwischen von einigen Pflanzen. Nirgendwo ist es aber so ausufernd anzutreffen wie beim Brachsenkraut. „So eine Korrekturmethode ist naturgemäß sehr fehleranfällig“, sagt Knoop. „Das wirft die Frage auf, warum sie sich in Isoetes – und nicht nur dort – bis heute erhalten hat.“

Kopien setzen sich selbst zusammen

Eine weitere Entdeckung elektrisierte die Forscher fast noch mehr. Die kopierten Bauanleitungen enthalten nämlich jede Menge „Datenmüll“, die so genannten Introns. Diese müssen herausgeschnitten werden, bevor der Rest als Vorlage zur Protein-Produktion verwendet werden kann. Auch beim Menschen werden die Arbeitskopien entsprechend nachbearbeitet.

Manche Kopien können ihre Introns nach Angaben der Wissenschaftler sogar selbst entsorgen – sie sind gewissermaßen ihre eigene Schere. Im Brachsenkraut fanden die Bonner Botaniker nun einen noch exotischeren Mechanismus: Dort ist die Bauanleitung eines bestimmten Proteins im Laufe der Evolution innerhalb eines Introns zerbrochen. Um dieses Protein herzustellen, muss man also zwei verschiedene Kopien aus der Bibliothek ausleihen.

Beide Kopien enden mit einer Intronhälfte, die herausgeschnitten werden muss. Die beiden Reste müssen dann noch passend zusammengeklebt werden, damit die Bauanleitung komplett ist.

Wie Schere und Klebstoff

Das hört sich ziemlich komplex an. Und dennoch scheinen die beiden Kopien dafür nicht einmal fremde Hilfe zu benötigen. Hand in Hand arbeiten sie wie Schere und Klebstoff: Sie entfernen den Datenmüll und verknüpfen den Rest zu einer lesbaren Kopie, die die komplette Bauanleitung des Proteins enthält. Das Phänomen nennt sich „trans-spleißen“ und wurde für diese Art von Introns zum ersten Mal nachgewiesen.

Dazu Grewe, der über Isoetes seine Doktorarbeit schreibt: „Das es ein interessantes Thema sein würde, war mir klar – mit so vielen molekularen Neuigkeiten hatten wir aber nicht gerechnet.“ Knoop ergänzt: „Und es bleibt spannend: Warum die DNA-Evolution in den Mitochondrien bei Pflanzen in den letzten 500 Millionen Jahren so exotisch und ganz anders verlief als bei Tieren, wissen wir noch nicht.“

(idw – Universität Bonn, 08.07.2009 – DLO)

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