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Psychologie

Stress und Angst machen vergesslich

Traumaopfer als schlechte Zeugen entlarvt?

Menschen sind offenbar extrem schlecht darin, sich Details ihrer eigenen traumatischen Erfahrungen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Angehörige des Militärs wurden in einem Versuch bedrohendem Verhalten im Rahmen eines gespielten Verhörs ausgesetzt. Einen Tag später konnten die meisten Testpersonen ihren Fragesteller nicht mehr identifizieren, manche merkten sich nicht einmal das Geschlecht richtig. Das berichtet das Wissenschaftsmagazin New Scientist. Diese Ergebnisse könnten die Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen psychologisch Traumatisierter ernsthaft in Zweifel ziehen.

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Zahlreiche Studien haben sich bereits in der Vergangenheit der Genauigkeit der Erinnerung traumatischer Ereignisse gewidmet. Einige von ihnen gehen von der Hypothese aus, dass intensive persönliche Erlebnisse eine nahezu photographische Erinnerung auslösen können, wovon Staatsanwälte und Geschworene bei Gerichtsfällen ausgehen. Doch einige Forscher glauben, das sei eine Illusion. „Menschen gehen davon aus, dass sie ihre Erlebnisse nie vergessen werden“, führt Gary Wells, Experte für Augenzeugenberichte an der Universität von Iowa in Ames, aus, „aber sie verwechseln das mit der Erinnerung von Details.“

Test im Überlebenscamp

Andy Morgan und seine Kollegen von der Yale University haben nun den Beweis mit wirklich stressigen Situationen angetreten. Sie untersuchten mehr als 500 Soldaten, Matrosen und Piloten in Überlebenscamps der Army. Die Testpersonen im Durchschnittsalter von 25 Jahren wurden speziell darauf trainiert, den mentalen und physischen Stress-Situationen einer Gefangennahme standzuhalten. Nach 48 Stunden ohne Nahrungsaufnahme und Schlaf wurden sie einer intensiven Befragung unterzogen und die Hälfte von ihnen dabei auch physisch bedroht. Die Probanden zeigten alle Zeichen physiologischen Stresses: Das Verhör löste eine hohe Herzfrequenz und eine starke Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol in Verbindung mit stark zurückgehenden Sexualhormonen aus.

Weniger als die Hälfte identifiziert

24 Stunden nach der Freilassung aus dem Camp, wurden die Testpersonen gebeten, ihren Fragesteller zu identifizieren. Einer Gruppe wurde ein Line-up von 15 Personen gezeigt, einer anderen ein Gruppenbild und einer dritten Gruppe eine Sequenz von einzelnen Fotos. Auf einer Skala von eins bis zehn sollten sie bewerten, wie sicher sie waren, dass sie die richtige Person ausgewählt hatten. Die meisten „Interviewer“ wurden in der Standarduniform gezeigt, ein paar von ihnen waren jedoch sogar genauso angezogen wie bei den Verhören.

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Die Leistung aller drei Gruppen war miserabel. Nur 30 Prozent konnten die richtige Person in dem Line-up identifizieren, 34 Prozent lagen beim Gruppenbild richtig und 49 Prozent hatten bei den sequentiellen Einzelphotos Erfolg. Durch den Hinweis mit der Kleidung konnte die Identifizierungsrate auf 66 Prozent erhöht werden. 30 Personen verwechselten das Geschlecht. Jene, die einer körperlichen Bedrohung ausgesetzt wurden, waren am schlechtesten bei der Wiedererkennung ihres Fragestellers.

Elizabeth Loftus, eine Psychologin an der Universität von Kalifornien in Irvine sagte, die Studie sei einzigartig, weil der Stress intensiv und real war. Auch Wells stimmt dem zu: „Es zeigt sehr gut, dass Stress dem Gedächtnis nicht hilft.“

(PTE, 15.06.2004 – NPO)

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