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Medizin

Mehr psychische Erkrankungen nach Corona-Infektion

Genesene leiden signifikant häufiger unter Depression, Ängsten und Suchterkrankungen

Corona
Eine Covid-19-Erkrankung erhöht auch das Risiko einer anschließenden psychischen Erkrankung oder Störung.© janulla, koto_feja / Getty images

Seelische Nachwehen: Selbst nach der Genesung hat eine Corona-Infektion Folgen für die psychische Gesundheit – auch bei milden Verläufen, wie eine Studie auf Basis der Gesundheitsdaten von Millionen Menschen aufzeigt. Demnach leiden von Covid-19 Genesene noch ein Jahr später signifikant häufiger an Depression, Ängsten, Suchtproblemen und anderen Leiden als Nicht-Infizierte oder Menschen, die an der Grippe erkrankt waren.

Das Coronavirus SARS-CoV-2 hat Menschen weltweit nicht nur körperlich krank gemacht – parallel zur Corona-Pandemie gab es auch eine schleichende Pandemie seelischer und psychischer Leiden. Der Stress der Lockdowns, die Isolation und die Angst vor der Infektion haben bei vielen Menschen Depressionen, Ängste und andere psychische Erkrankungen verstärkt. Gleichzeitig greift das Coronavirus auch Gehirn und Nerven an und hinterlässt bei Long-Covid-Patienten oft neurologische Ausfälle und Gedächtnisstörungen.

Gibt es auch psychische Spätfolgen?

Jetzt enthüllt eine Studie, dass eine Corona-Infektion auch psychische Spätfolgen hinterlässt. Yan Xie von der Washington University in Saint Louis und seine Kollegen haben dafür die Gesundheitsdaten von 153.848 Menschen in den USA ausgewertet, die zwischen März 2020 und Januar 2021 positiv auf das Coronavirus getestet wurden und einen milden oder schweren Verlauf von Covid-19 durchlebt haben. Als Kontrollgruppe dienten die Daten von 5,6 Millionen nichtinfizierten Menschen aus der gleichen Zeit.

Für alle Testpersonen untersuchte das Team, ob in den zwölf Monaten nach Ende der akuten Infektion beziehungsweise im gleichen Zeitraum eine psychische Erkrankung oder Störung diagnostiziert wurde. Dazu zählten Depressionen, Angsterkrankungen und Panikattacken, posttraumatische Belastungsstörungen und neurokognitive Störungen. Die Forschenden erfassten aber auch Schlafstörungen, Alkoholsucht oder Drogenprobleme.

Häufigkeit um bis zu 60 Prozent erhöht

Das Ergebnis: Bei den von Covid-19 Genesenen kamen psychische Leiden in dem Jahr nach der akuten Infektion 60 Prozent häufiger vor als bei der Kontrollgruppe. Nach einer Corona-Infektion erkrankten demnach unter 1.000 Menschen im Schnitt 64 Personen mehr an Depression, Ängsten, Sucht oder neurologischen Ausfällen als ohne vorhergehende Infektion. Dies galt sowohl für Patienten mit schweren Verläufen von Covid-19 als auch für Corona-Infizierte mit nur mildem Verlauf.

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„Um dies ins Verhältnis zu setzen: Weltweit könnten Corona-Infektionen damit für mehr als 14,8 Millionen neue Fälle psychischer Erkrankungen verantwortlich sein, allein in den USA sind es 2,8 Millionen“, sagt Seniorautor Ziyad Al-Aly von der Washington University. „Und unsere Zahlen haben noch nicht die unzähligen Menschen erfasst, die im Stillen leiden, weil sie das Stigma fürchten oder keine professionelle Unterstützung bekommen.“

Depression, Angststörungen und Sucht

Im Einzelnen stellten die Forscher fest, dass das Risiko für eine Depression und stressbedingte Leiden um 40 Prozent erhöht war, Angsterkrankungen waren um 35 Prozent häufiger als in der Kontrollgruppe. Von Covid-19 Genesene hatten zudem ein zum 80 Prozent höheres Risiko für neurokognitive Defizite wie Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen und andere geistigen Einbußen. Die Häufigkeit von Schlafstörungen war um 41 Prozent erhöht. Ebenfalls deutlich häufiger waren verschiedene Suchterkrankungen.

„Wir wissen aus früheren Erfahrungen und Studien, dass die zwei Jahre der Pandemie eine enorme Herausforderung für unsere kollektive seelische Gesundheit darstellten“, sagt Al-Aly. „Aber obwohl wir alle unter der Pandemie gelitten haben, ging es den Menschen, die Covid-19 hatten, danach psychisch noch schlechter. Es ist wichtig, dass wir das erkennen, diagnostizieren und behandeln, bevor es zu einem noch größeren Problem wird.“

Anders als nach einer Grippe

Interessant auch: Um sicherzustellen, dass die erhöhte Anfälligkeit für psychische Erkrankungen nicht die allgemeine Folge des Krankseins oder einer Virusinfektion war, untersuchten die Wissenschaftler auch Grippe-Patienten. Dafür verglichen sie die Daten der Covid-19-Genesenen mit denen von gut 72.000 genesenen Grippe-Patienten, darunter knapp 12.000 wegen der Influenza im Krankenhaus behandelten.

Das Ergebnis: Auch gegenüber dieser Vergleichsgruppe litten die vom Coronavirus Genesenen häufiger unter psychischen Erkrankungen als Spätfolge. Bei milden Verläufen von Covid-19 war die Zahl der Fälle um 27 Prozent erhöht, bei schweren Verläufen um 45 Prozent. „Ich hoffe, auch das widerlegt die irrige Annahme, dass Covid-19 nicht schlimmer sei als eine Grippe“, sagt Al-Alay. „Das Coronavirus ist erheblich schwerwiegender.“

Mechanismen noch unklar

Nach Ansicht der Mediziner deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass das Coronavirus nachhaltige Folgen auch für die seelische Gesundheit haben kann. „Unsere Resultate deuten auf einen spezifischen Zusammenhang zwischen SARS-CoV-2 und psychischen Störungen hin“, sagt Al-Aly. „Wir wissen zwar noch nicht, warum das so ist. Aber einer der Hypothesen nach kann das Virus ins Gehirn eindringen und zelluläre und neuronale Funktionen stören – das könnte dann auch zu psychischen Erkrankungen führen.“ (The BMJ, 2022; doi: 10.1136/bmj‑2021‑068993)

Quelle: BMJ, Washington University in St. Louis

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