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Phänomene

Kollaboration statt Konkurrenz

Wie Wissenschaft und Wikipedia zusammenarbeiten

Nach der anfänglich weit verbreiteten Abwehrhaltung begegnet die Wissenschaft Wikipedia heute zunehmend auf konstruktivere Weise. Anstatt sich lediglich passiv über die mangelhafte Qualität der Wikipedia zu beschweren, versuchen immer mehr Forscher wissenschaftliche Inhalte selbst mitzugestalten. Dazu unterwerfen sie sich zwangsläufig den Regeln der Online-Community, was angesichts der strukturellen Konflikte zwischen der Wikipedia und dem Wissenschaftssystem natürlich nicht immer reibungslos verläuft.

Inzwischen beteiligen sich mehr Forschende an Wikipedia - auch um ihr Fachgebiet besser zu repäsentieren. © Valueline/ iStock.com

Neuer Input aus der Forschung

Dennoch lassen sich eine ganze Reihe von Beispielen einer solchen Annäherung finden, wohl nicht zuletzt aufgrund des Drucks, der durch die Popularität Wikipedias erzeugt wird: 2008 überführte eine Gruppe von Forschern um den Wissenschaftler John Huss von der Diego State University Daten aus einer Gen-Datenbank zu Wikipedia, um die Qualität der Einträge zu ihrem Fachgebiet zu verbessern. Sie machten sich dabei die Tatsache zu Nutze, dass User eher schon bestehende Artikel erweiterten als neue Einträge anzulegen.

Die Fachzeitschrift RNA Biology veröffentlicht inzwischen Teile ihrer Artikel sogar routinemäßig in Wikipedia. Die Association for Psychological Science (APS) startete 2011 eine Initiative, in der sie ihre Mitglieder und Psychologie-Studierende aufrief, zur Verbesserung von psychologiespezifischen Wikipedia-Artikeln beizutragen. Das Netzwerk Technikfolgenabschätzung (NTA) hat eine Arbeitsgemeinschaft eingerichtet, die dazu dienen soll, Inhalte zum Thema Technikfolgenabschätzung in der Enzyklopädie zu verbessern.

Wikimedia holt Forscher an Bord

Auch umgekehrt lassen sich Zeichen der Annäherung erkennen: So veranstaltet die Wikimedia Foundation seit einigen Jahren die Konferenzreihe Wikipedia Academy, bei der sie mit wissenschaftlichen Institutionen kooperiert. Neu gegründete Plattformen wie Wikiversity und Wikibooks kommen akademischen Bedürfnissen ein Stück weit entgegen, indem sie weitere Formen und Inhalte zulassen. So lassen sie sich besser für die Lehre einsetzen und Wikiversity eignet sich potenziell sogar als Forschungsplattform, da hier das Verbot der Theoriefindung aufgehoben ist.

Allerdings zeigen sich gerade in diesen Plattformen auch die Grenzen des Wiki-Prinzips. Sie sind weit davon entfernt, Wikipedias Status einer faktischen Wissensautorität einzunehmen, denn sie verfügen gegenüber ihrem Vorbild nur über eine geringe Anzahl aktiver Nutzer und entsprechend fällt ihr Umfang – und häufig auch ihre Qualität – eher bescheiden aus. Um die Wissenschaft in größerem Maßstab zur aktiven Nutzung der neuen Medien zu motivieren, scheint aber noch immer größerer Druck nötig.

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Trotz des revolutionären demokratisierenden Potenzials dieser neuen Form der Wissensproduktion, werden die über Jahrzehnte gereiften Strukturen des Wissenschaftsprinzips nicht über Nacht abgelöst werden. Zweifellos hat der Erfolg dieser neuen Form der kollaborativen Wissensproduktion aber bereits Spuren im Wissenschaftssystem hinterlassen. Es bleibt abzuwarten, welche längerfristigen Effekte dies haben wird und ob sich etwa auch Vorschläge wie Fachzeitschriften im Wikiformat durchsetzen werden.

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René König für bpb.de/ CC-by-nc-nd 3.0
Stand: 29.01.2016

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Wikipedia und die Wissenschaft
Von der Zwangsehe zur produktiven Kollaboration?

Lexikon zum Mitmachen
Wie die Wikipedia entstand

Krümelmonster und Bügelbrett
Weisheit der Vielen oder Sammlung von Fehlern?

Keine geeignete Plattform?
Was Wikipedia von Fachveröffentlichungen unterscheidet

Spicken bei Wikipedia
Die Online-Enzyklopädie ist besser als ihr Ruf

Kollaboration statt Konkurrenz
Wie Wissenschaft und Wikipedia zusammenarbeiten

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